Ich studiere Geschichte. Das heisst: Ich werde irgendwann Lehrer – oder Taxifahrer.» So eröffnete ich früher oft meinen Bühnenauftritt. Ein sicherer Lacher. Die grosse Masse fühlte sich wohlig in ihrer süffisanten Meinung gegenüber Lehrern bestätigt, und die Lehrer selbst – bei Kulturveranstaltungen bekannterweise überdurchschnittlich vertreten – suhlten sich bereitwillig im hoch angesehenen Heilschlamm der Selbstironie. Und die Taxifahrer? Wahrscheinlich schwiegen sie wissend und überlegten, wie nur Taxifahrer es können, oder sassen draussen in ihren Autos und haben von alledem gar nichts mitbekommen. Aber um die ging es ja auch nie, selbstverständlich nicht. Genauso wenig wie um die Lehrer. Beide waren nur Mittel zum Zweck für einen billigen Witz, einen Eisbrecher, wie man so schön sagt. Keine humoristische Meisterleistung, aber: Klappt immer. Oder anders ausgedrückt: Da weiss man, was man hat. Ein Hilfsmittel nach simpelster Rezeptur. Man nehme eine gesellschaftlich verträgliche Prise Frechheit, die notwendigste Zutat, nämlich Authentizität, und eine Messerspitze «Zwinkerzwinker», dazu noch ein klein wenig Selbstscham in Kauf, dann zusammenschütten, gut verrühren und runterreduzieren auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, der da wäre: «Du studierst Geschichte? Und was kann man damit später mal machen?»
Die Frage ist aktueller denn je, wenn die wählerstärkste Partei der Schweiz einen Numerus clausus für geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge einführen will. Nicht nur das, sie ist auch dazu berechtigt: So genau weiss es nämlich keiner, am wenigsten die Geschichtsstudenten selbst. Ich spreche da aus Erfahrung. Meine Antwort lautete immer: «Ich weiss es nicht.» Oder «noch nicht». Oder in die Ecke gedrängt und hilflos schnippisch: «Was ich damit später mal mache? Voll viel Ahnung von Geschichte haben, vielleicht?» Allesamt wenig befriedigende Antworten für das fordernde Gegenüber. Es hat eine einfache Frage gestellt und darauf hätte es gerne eine klare Antwort. Schliesslich ging es ja nicht um das Warum, sondern um das Wozu. Wer Medizin studiert, wird Arzt, wer BWL studiert, wird Kaufmann, wer Jus studiert, wird Anwalt. Ganz einfach. Da weiss man, was man hat. Und es ist gut zu wissen, was man hat. Aber: Was für einen stabilen Schuh, einen gut geschreinerten Tisch oder ein selbst gebackenes Brot gilt, muss nicht für jede Lebenssituation gelten, so unschlagbar simpel diese Redewendung in ihrer Nullpunkt-Kausalität auch sein mag. Ein Beispiel:
A: Was, wie viel hast du gespendet?
B: 200 Franken.
A: 200 Franken?
B: Ja, 200 Franken.
A: Krass.
B: Ja, ziemlich krass. Mit dem bauen die jetzt Brunnen und Schulen und so.
A: Jaja. Wenn es dort überhaupt ankommt.
B: Das haben sie zumindest gesagt.
A: Jaha, haben sie dir gesagt: Und dann geht das Geld doch nur wieder an irgendeinen afrikanischen Kriegstreiber! Dann hättest du die 200 Franken gleich aus dem Fenster werfen können!
B: Du. Deine Uhr, wie viel hat die gekostet?
A: Was hat das jetzt damit zu tun?
B: Ist doch egal, sag einfach.
A: Etwa 500 Franken, glaub ich.
B: 500 Franken? Krass …
A: Was krass. Da weiss man wenigstens, was man hat!
Wenn man diese Argumentation eins zu eins auf die Bildungspolitik überträgt, sieht das dann eben so aus: Wenn jeder studieren darf, was er will, wenn jeder hinterletzte, verkiffte Gymnasiast, jeder Halbwüchsige, der ein Che-Guevara-T-Shirt trägt und einen «Kein Mensch ist illegal»-Sticker auf dem Rucksack kleben hat, einfach so mir nichts, dir nichts Geistes- oder Sozialwissenschaften studieren kann und später dann Heerscharen von mittel-, arbeits- und obdachlosen Historikern, Ethnologen, und Psychologen durch die Schweizer Strassen, Gassen und Bahnhöfe streichen und für ein wenig Kleingeld vom Krieg erzählen, unschuldige Passanten mit Statistiken und Kuchendiagrammen belästigen und einen unverfroren anschnorren mit: «Hey, häsch mer äs Buech?» Und wenn man sich dann fragen muss: «Ja, so ein Soziologe: Was macht der eigentlich für die Gesellschaft?» Dann weiss man eben nicht so recht. Aber wenn man konsequent nach dem Schweizer Markt ausgerichtet, nur noch Konzernchefs und Banker ausbilden würde, dann weiss man, was man hat.
Dass die SVP keine grosse Verwendung für beispielsweise Historiker und Ethnologen hat, ist – nicht zuletzt mit einem Blick auf ihre Wahlplakate der letzten 20 Jahre – ebenso wenig überraschend wie ihr Vorgehen, unter dem Deckmantel der allgemeinen Wohlstandssicherung Einzelschicksale gegeneinander auszuspielen. Als vor einem Jahr syrische Flüchtlinge in einer ausrangierten Villa untergebracht wurden, war das für die SVP ein Schlag ins Gesicht armer Schweizer Familien. Und heute, wenn vermeintlich zu viele Philosophiestudenten den Schweizer Arbeitsmarkt fluten, ist das für sie ein Affront gegenüber jenen Medizinstudenten, die am Numerus clausus scheitern. Die SVP könnte sich natürlich dafür einsetzen, dass der Zugang zum Medizinstudium erleichtert wird. Oder dass sozial schwache Schweizer Familien von nun an in Villen untergebracht werden. Oder aber weiterhin gegen Asylanten und Studenten poltern. Da weiss man, was man hat, nämlich wenig Aufwand, viel Ertrag und null Risiko. Denn: Die einen haben nicht das Recht, an die Urne zu gehen, und die anderen sind dafür zu faul oder zu verkatert.
Ha. Der war gut. Ich glaube, den nehme ich als Einstiegswitz für meinen nächsten Bühnenauftritt.
Renato Kaiser
Der 29-jährige St.Galler Spoken-Word-Künstler Renato Kaiser ist Autor, Poetry-Slam-Schweizer-meister 2012 (für die Freunde von Titeln), Satiriker (für die Freunde von Bösem) und «än liebä Siäch» (für die Freunde von Harmonie). Zwischen 2010 und 2012 war er mit dem Soloprogramm «Er war nicht so – ein Nachruf» unterwegs. Aktuell spielt er sein zweites abendfüllendes Programm mit dem Titel: «Integrational – Ein Abend für Schweizer, Deutsche, Ostschweizer, Löwenzähne und andere Randgruppen».