Als das Zürcher Kammerorchester (ZKO) im September die Saison eröffnete, war klar, dass der Druck auf das Zürcher Tonhalle-Orchester wachsen würde. Der neue Leiter Daniel Hope berührt, nervt und begeistert die
Stadt schon nach zwei Monaten; Tonhalle-Orchester-Chefdirigent Lionel Bringuier schafft das mit dem Tonhalle-Orchester selbst nach zwei Jahren nicht. Dank Hope wird das Kammerorchester im Kampf um die allerorts
schwindende Zahl von Konzertgängern eine gewichtigere Rolle spielen. Beim ZKO nehmen diese zu, beim Dampfer
Tonhalle-Orchester ab.
Scheuklappenfreier Blick eines Weltbürgers
Hope – ein 43-jähriger Brite mit Wurzeln in Südafrika – startete fulminant: Kaum hatte das Kammerorchester
das erste Konzert hinter sich, ging es auf Tournee, nahm eine CD auf und stand einen Monat später mit einem
Ex-Bond-Bösewicht wieder auf der Bühne. Pech war, dass dann eine Woche darauf im neuen Format «Director’s Cut» der programmierte Stargast, Banker Josef Ackermann, absagte. Bezeichnend aber war, dass es nicht einer der üblichen Verdächtigen war – ein Literaturprofessor, ein Fernsehmacher oder ein Rapper. Der nächste Gast war Autorennfahrer Marcel Fässler. Ein Risiko, gewiss, aber ein spannendes. Kurios: Wer Daniel Hope das erste
Mal zuhört, glaubt, einen Phrasendrescher vor sich zu haben. Sein «Grüezi» bringt er seit Jahr und Tag, wenn er sich ans Schweizer Publikum wendet (in den letzten Wochen also pausenlos). Seine salbungsvollen Worte zum Klassikbetrieb könnten in jeder Werbebroschüre stehen – und selbst sein Geigenspiel ist diskutierbar.
Aber Hope deswegen zu unterschätzen, wäre dumm. Es war mutig vom geigenden Hansdampf in allen Gassen, künstlerischer Leiter eines Orchesters zu werden, das 60 Jahre lang von Dirigenten geführt worden war.
Dirigenten werden auch in Zukunft eingeladen, aber viele Konzerte lenkt der Solist – unter anderem Hope.
Er lächelt und wehrt sich in der Bibliothek im Hotel Splügenschloss diplomatisch gegen die Behauptung, dass es seitens des ZKO ein waghalsiger Entscheid gewesen sei: «Ich fand die Anfrage jedenfalls sehr spannend.» Dann aber kommt der so wichtige, scheuklappenfreie Blick eines Weltbürgers zum Vorschein: «In dieser Stadt steckt doch viel mehr Spannung, als man rundum denkt. Ich habe es satt, zu hören, in der Schweiz sei alles so gemütlich: Das ist Blödsinn! Hier st
Erst einmal in Fahrt, lässt er die Zukunft aufleuchten: «Es ist erstaunlich, dass es hier kein grosses Festival gibt. Zugegeben, es gibt die ‹Zürcher Festspiele›, aber ich würde das nicht als alleinstehendes Festival bezeichnen.» Wenn nicht in Zürich ein Festival, wo denn sonst? «Wir müssen die Musik nutzen, um zu provozieren. Es gibt in Zürich tolle Säle – und es gibt die finanziellen Mittel für die Kultur», fährt er fort.
Ans Lagerfeuer, nicht ins Zelt der Häuptlinge
Natürlich sagt ein solcher Mensch brav, dass diese Mittel für alle reichen, ja für alle reichen müssen – und weiss: Das stimmt nicht. Die Diskussion um die Fusion der Zürcher Theaterhäuser Gessnerallee und Neumarkt hat es kürzlich gezeigt.
Als er beim ZKO-Saisoneröffnungskonzert zuerst bloss die zweite Geige spielte, lobte man diese Geste als «bescheiden». Doch das war sie nicht. Wer wie Hope herausfinden will, wie ein Ensemble funktioniert, muss ans Lagerfeuer der Indianer, nicht ins Zelt der Häuptlinge sitzen.
Im zweiten Programm war er sich aber nicht zu schade, hinter dem rezitierenden Solisten Klaus Maria Brandauer zur Staffage zu werden. Es war ein aussergewöhnlicher Abend mit einem Übertreibungskünstler in einer fast ausverkauften Tonhalle, der allerdings bloss verhaltenen Applaus erntete. Da stellte sich die Frage: Überfordert Hope die Zürcher bereits?
Die Stadt ist für ihn jedenfalls einiges mehr als bloss ein Job unter vielen. Hier will Hope seine modernen Konzert-Ideen umsetzen, die alten Formate mit Sinfonie, Klavierkonzert und zu Beginn eine Ouvertüre aufbrechen.
Ob die Zürcher ihm folgen? Hope hat keine Vorgaben bezüglich Besucherzahlen erhalten, aber er weiss, dass man international sehr genau auf das neue Kammerorchester-Modell schaut, das ohne einen Chefdirigenten auskommt. So unterstreicht er immer wieder, dass er nichts gegen Dirigenten habe, gewisse werden weiterhin das Kammerorchester leiten.
Auf die Frage, ob das ZKO denn eine Konkurrenz für das Tonhalle-Orchester sei, erklärt er: «Wir müssen zusammenhalten, ich habe keine Lust auf Machtkämpfe. Jedes Orchester hat in Zürich einen Platz.» Sagt es – und denkt wohl daran, wie er das ZKO noch besser verkaufen könnte.
Konzerte
Mi, 28.12., 19.00 Opera Box «Il Signor Bruschino» ZKO-Haus Tiefenbrunnen Zürich
Sa, 31.12., 17.00 Silvesterkonzert «Upbeat» mit Ingudesman & Joo KKL Luzern
So, 1.1., 17.00 Neujahrskonzert «Upbeat» mit Ingudesman & Joo Tonhalle Zürich
Mi, 1.2., 20.00 Director’s Cut mit Daniel Hope ZKO-Haus Tiefenbrunnen Zürich
Do, 2.2., 19.30 ZKO mit Avi Avital, Mandoline Kirche St. Peter Zürich
CDs von Daniel Hope
Daniel Hope: My Tribute To Yehudi Menuhin
(DG 2016).
Escape to Paradise
(DG 2014).
The romantic violinist. Hommage an Joachim
(DG 2011).
Buch
Daniel Hope
«Wann darf ich klatschen?»
253 Seiten
(Rowohlt 2009).