Sie unterschreibt mit «Pat H., alias Ripley». So weit geht die Identifikation der US-amerikanischen Schriftstellerin Patricia Highsmith (1921– 1995) mit ihrer Romanfigur Tom Ripley. Dieses fiktive amoralische Genie besetzte seine Schöpferin so sehr, dass sie sich selbst darin sah: «Sie schlüpft in die Rolle des schüchternen, kunstsinnigen, anarchistischen, charmanten Psychopathen Ripley und löst sich selbst völlig auf.»
Ripley ist das Alter Ego der Patricia Highsmith, die mit ihrem eigenen Leben nicht umgehen konnte. Zu diesem Schluss kommt die holländische Schriftstellerin Connie Palmen in einem Essay über die verstorbene Berufskollegin. Highsmith schrieb übrigens fünf Ripley-Romane.
Vier unterschiedliche Frauen …
Palmen machte sich einen Namen mit ihrer akribischen Beziehungsanalyse «Du sagst es» über die US-Lyrikerin Sylvia Plath und den englischen Dichter Ted Hughes.
In ihrem neuen Buch analysiert Palmen unter dem Titel «Die Sünde der Frau» neben Highsmith drei weitere Frauen: die Schauspielerin Marilyn Monroe, die in Europa wenig bekannte US-Schriftstellerin Jane Bowles sowie die französische Autorin Marguerite Duras.
Auf den ersten Blick könnten diese vier Frauen kaum unterschiedlicher sein: Zwischen dem Hollywood-Glamour der Monroe, der Pariser Bohème der Duras und der Tessiner Klause der Highsmith liegen Welten.
… mit sehr vielen Gemeinsamkeiten
Aber dennoch, und das ist der Reiz dieser Texte, haben die Schicksale dieser Frauen vieles gemeinsam: Alle vier hatten eine holprige Kindheit. Die Väter waren verschwunden oder tot, die Beziehungen zu den Müttern konfliktgeladen. Sie legten sich in ihrer Gedankenwelt eine neue Identität zu, mit der sie allerdings scheiterten. Sie zerstörten sich systematisch selbst, sei es durch übermässigen Alkoholkonsum wie bei Duras, Bowles und Highsmith oder den Suizid der Monroe. Sie sprachen oft in der dritten Person von sich.
So auch Norma Jeane Baker (1926–1962), alias Marilyn Monroe. Sie erfand die Kunstfigur Monroe, die das US-amerikanische Schönheitsideal verkörperte – frivol und erfolgreich. «Ich glaube, die Tragödie verbirgt sich hinter der Sehnsucht, echt zu werden, zu einem von dem empfundenen Image losgelösten Selbst zu finden», schreibt Palmen. Damit scheiterte Monroe kläglich: Niemand sah sie als Norma Baker, auch sie selbst nicht.
Die Lebensgeschichte der Marguerite Duras (1914–1996) liest sich wie ein Roman. Auch ihr Name war ein Pseudonym, weil sie mit ihrem Ich nicht leben konnte. Die in Vietnam Aufgewachsene engagierte sich politisch zuerst für die französischen Kolonialisten, dann für die Kommunisten, bis sie 1950 aus der KP austrat. 1959 wurde sie mit ihrem Roman «Hiroshima, mon amour» weltberühmt – eine Hommage an die Französinnen, die sich im Zweiten Weltkrieg mit deutschen Besatzern einliessen. Sie wusste, wovon sie schrieb: Duras soll selbst ein Jahr lang mit der Vichy-Regierung zusammengearbeitet haben und so Kollaborateurin gewesen sein. «Sie ist die Autorin des Verbotenen, des Inzests mit dem geliebten Bruder; die weisse Kind-Prostituierte, die Sex mit einem älteren chinesischen Liebhaber hat, des Geldes wegen und um in die körperliche Liebe eingeweiht zu werden», konstatiert Palmen. Duras hatte einen unglaublichen Überlebenswillen, den sie notorisch im Schnaps ersäufte – bis zur Bewusstlosigkeit. Sie ging unzählige Liebschaften ein, war aber beziehungsunfähig. «In der Leidenschaft, im Wahnsinn, im Alkohol, im Schreiben und in der Liebe sucht Duras nach dem Äussersten, dem Echten und dem Wahren. Die Frauen in ihren Werken sind verstümmelt …»
Die Verzweiflung führt zum Exzess
Auch bei Patricia Highsmith führt die Verzweiflung zum Exzess, und zwar bereits in jungen Jahren: «Die morbiden Phantasien, mit denen sie sich seit der frühen Pubertät getragen hat, finden nun einen Niederschlag in Kurzgeschichten, aber sie entdeckt auch den Sex als Ventil der Verzweiflung, Unsicherheit und Selbsthass.» Sie schläft mit Männern und noch mehr Frauen. Immer auf der Suche nach Liebe, die sie nirgends finden kann.
Buch
Connie Palmen
Die Sünde der Frau
96 Seiten
(Diogenes 2018)