Comics heissen sie von Anfang an (von Comic strips = komische Streifen). Längst sind Comics nicht mehr ausschliess-lich komisch. Sie sind zu einem eigenständigen Medium geworden mit einer praktisch unbegrenzten Themenvielfalt: Abenteuer, Reportagen, Biografien, Literaturadaptionen und mehr.
Vor Jahren ist ein neuer Begriff aufgetaucht: Gewisse Comics werden als Graphic Novels (Bilderromane) angepriesen. Ur-sprünglich handelt es sich dabei um eine Marketingstrategie in den USA. Als Graphic Novels sollten Comics als «richtige» Bücher den Weg ins Sortiment von Buchhandlungen und ein neues Lesepublikum finden. 1978 hat Will Eisner den Begriff übrigens erfunden – für eine Sammlung von autobiografischen Kurzgeschichten (!).
Comics von epischem Umfang mit komplexer Handlung und tiefgründigen Figuren gab es bereits lange zuvor. Mit dem Begriff Graphic Novel will man neuerdings betonen, dass man mit literarischem Anspruch für ein Erwachsenenpublikum arbeitet und es mehr als «nur» Comics sind. Letztlich ist Graphic Novel aber nichts anderes als eine Bezeichnung für Comics, um diese zu nobilitieren, obwohl sie es gar nicht nötig hätten. Auch das gilt: Nicht überall, wo Graphic Novel draufsteht, ist auch Graphic Novel drin. Es gibt einfach gute und weniger gute Comics.
Comics in St. Gallen und Luzern
Das Literatur-Festival Wortlaut in St. Gallen will bewusst literarische Grenzüberschreitungen wagen. So findet sich bei der 12. Ausgabe neben Literatur, Kabarett und Slam Poetry die Festival-Reihe «Lechts». Hier haben die Comics ihren Platz. Gäste sind Orphea Heutling (Hamburg), das Schweizer Kollektiv Pause ohne Ende, Frank Schmolke (München) und Nando von Arb (Zürich).
Zum 29. Mal ist bei Fumetto in Luzern Zeit für Comics. Beim diesjährigen Wettbewerb zählte man zum Thema «Vernetzt» rund 1000 Einsendungen aus 53 Ländern. In die engere Auswahl kamen 40 nominierte Arbeiten. Ein Schwerpunkt der aktuellen Fumetto-Ausgabe bildet Argentinien. So in der Ausstellung «El fin del mundo – Comics vom Ende der Welt», wo acht Comic-Schaffende ihre persönliche Interpretation der Apokalypse zeigen. In «El Eternauta» wird der gleichnamige argentinische Science-Fiction-Klassiker aus den 1950er-Jahren neuen Arbeiten gegenübergestellt. (hau)
Literatur-Festival Wortlaut
St. Gallen
Do, 26.3.–So, 29.3.
www.wortlaut.ch
Fumetto Comic Festival Luzern
Sa, 28.3.–So, 5.4.
www.fumetto.ch
Persönlicher Alltagsgrusel
Charles Burns (*1955) aus Philadelphia besitzt eine ausgeprägte Obsession für Horror in Film und Comics. Sein jüngstes Album «Daidalos» ist deutlich autobiografisch geprägt. Es handelt von einem jungen Zeichner und Filmer mit einem Flair für Grusel. Unverkennbar Burns sind die kühle Ästhetik der Farben, die charakteristischen Schraffuren, die Anleihen bei der Tradition der US-Horror-Comics. Dazu kommt das Surreale, das in die Wirklichkeit eindringt in einem künstlerischen Kosmos, der an die Filmwelt eines David Lynch gemahnt. (hau)
Charles Burns
Daidalos
64 Seiten
(Reprodukt 2020)
Furiose Kulturgeschichte
Die 1978 geborene Schwedin Liv Strömquist ist eigentlich studierte Politologin. Einen Namen gemacht hat sie sich mit Comics aus feministischer Sicht. In «Ich fühl’s nicht» präsentiert sie eine Kulturgeschichte des Liebens und der Gefühle, kombiniert furios Texte und Bilder. Ans Werk geht Strömquist mit Witz und Ironie, dabei bleibt sie im Faktischen seriös, wenn sie – inklusive Fussnoten! – aus Philosophie, Literatur, Wissenschaft und Popkultur zitiert, mit Namen wie Platon, Roland Barthes, Hilda Doolittle, Eva Illouz, Beyoncé und Leonardo DiCaprio. (hau)
Liv Strömquist
Ich fühl’s nicht
176 Seiten
(avant-verlag 2020)
Berührende Info-Grafik
Der in Zürich lebende Martin Panchaud gestaltet sein am Computer entstandenes Album «Die Farbe der Dinge» mit Darstellungsmitteln der Info-Grafik. Farbige Kreise stehen für die Figuren. Schauplätze und Dinge sind abstrahiert gezeichnet. Erzählt wird die Geschichte eines 14-Jährigen, der beim Pferderennen in Ascot einen Millionengewinn erzielt – ein Glücksfall mit Hindernissen. Verblüffend, wie die Reduzierung die Kreativität fördert: Man ergänzt quasi beim Lesen das «reale» Geschehen und erlebt, wie eine strenge Grafik Berührendes vermitteln kann. (hau)
Martin Panchaud
Die Farbe der Dinge
224 Seiten
(Edition Moderne 2020)
Biografie einer Aussergewöhnlichen
Emmy Ball-Hennings (1885–1948) war all dies: Modell, Muse und Geliebte vieler Künstlermänner, Morphinistin, Prostituierte, Dichterin, Schauspielerin, Sängerin. Zwei Spanier legen mit «Alles ist Dada» eine gelungene Comic-Biografie zu dieser aussergewöhnlichen Frau vor, die als 16-Jährige sagte: «Ich werde Banken ausrauben und Gedichte darüber schreiben.» Ausführlich widmet sich der Band ihren Schweizer Jahren: Gründung des Cabaret Voltaire 1916 in Zürich, die Begegnung mit Lenin und im Tessin mit Hermann Hesse. (hau)
Fernando González Viñas, José Lázaro
Alles ist Dada – Emmy Ball-Hennings
232 Seiten
(avant-verlag 2020)