«Oh nein», seufzt Allan Dale in einem Londoner Edellokal. Aber da ist es schon zu spät, der Romcom-Filmstar wird von zwei Teenies mit Autogrammwünschen bestürmt. Er nimmt Reissaus. Als der Hauptdarsteller später bei der Premiere seines Films «My Wife, Her Corgi (and Me)» Interviews geben muss, wird er von seinen Fans Lia, Kate und Ashley betäubt und entführt.
«Fangirl Fantasy» von Olivia Vieweg nimmt das popkulturelle Phänomen des Fantums – beziehungsweise Fandoms, wie man heute sagt – zum Anlass, von weiblichen Obsessionen zu erzählen. Die Idee kam der Autorin gemäss eigener Aussage aufgrund einer Anekdote über Leonard Nimoy, der in «Star Trek» Mr. Spock spielte. Nimoy, vom Erfolg der Serie überfordert, nannte seine erste Autobiografie «Ich bin nicht Spock» (1975), was bei den Fans gar nicht gut ankam. Erst 20 Jahre später legte Nimoy mit «Ich bin Spock» nach.
Auch Allan Dale will nicht länger in seichten Serien und Filmen mitspielen. Er hat deshalb alle Verträge gekündigt, um sich künftig in ernsteren Rollen zu beweisen – sehr zum Unmut seiner Entführerinnen, die ihn in einer ehemaligen DDR-Spielzeugfabrik zwingen, in seine alten Charaktere zu schlüpfen. Allan soll Szenen aus der Fan-Fiction von Lia, Kate und Ashley darstellen und ihnen «Happy Ends geben». Der Star ist entsetzt. Doch wenn er nicht spurt, will das Trio belastendes Material gegen ihn auf Social Media posten.
Wilder Mix auf verschiedenen Ebenen
So entwickelt sich «Fangirl Fantasy» zu einem turbulenten Mix auf verschiedenen Erzählebenen, welche Vieweg mit ihrem an Mangas angelehnten Stil sowie extremen Close-ups zu immer toxischeren Auswüchsen treibt. Oder wie es Ashley gegenüber Allan mal rausrutscht: «Uns Fans gehört deine Serie.»
Vieweg, 1987 in Jena geboren, zählt seit Jahren zu den erfolgreichsten und vielseitigsten deutschen Comiczeichnerinnen. Zu ihren prägenden Werken gehören «Huck Finn» (2013), in dem sie Mark Twains Klassiker nach Ostdeutschland verlegt. Oder «Antoinette kehrt zurück» (2014/2020), eine lose an Friedrich Dürrenmatts «Besuch der alten Dame» angelehnte Geschichte über Mobbing unter Jugendlichen.
Das Wunderbare am Fansein überwiegt
Mit «Fangirl Fantasy» wendet sich Vieweg nun einem ebenso aktuellen wie persönlichen Thema zu – der Gratwanderung zwischen Fantum und Fanatismus, Zuneigung und Hass, wobei bei Vieweg letztlich «das Wunderbare am Fansein» überwiegt. Am besten zu sehen ist das in diesem rauschhaften Comicvergnügen in den «Opportunity»-Episoden, einer Reminiszenz an die originalen «Star Trek»-Folgen. Oder wie es Allan fassungslos kommentiert: «Gott, bitte nicht. Nicht diese Serie ...»
Buch
Olivia Vieweg
Fangirl Fantasy
272 Seiten
(Carlsen 2024)