Um 20.30 Uhr betritt er die Bühne im Kulturzentrum Kammgarn, Schaffhausen, und stellt seinen Laptop auf einen Stehtisch. Mehr braucht Renato Kaiser nicht, um sein neues Programm vor vollem Saal zu testen.
Knapp 150 Zuschauer sitzen dicht gedrängt. Der Comedian erklärt dem Publikum kurz den Ablauf dieses sogenannten Tryout: «Es gibt noch keinen dramaturgischen Anfang oder Schluss in meinen Texten, aber damit die einzelnen Abschnitte nicht zu lang werden, habe ich Trink- und Klatschpausen eingebaut.» Wenn er also Wasser trinke, solle man bitte klatschen, beim Lachen sei man indes völlig frei.
«So gütig bin ich dann.» Gelächter. Der etwas über zweistündige Anlass ist ein voller Erfolg, die Stimmung im Saal zuweilen ausgelassen. Und wie wars für Renato Kaiser? Ein paar Tage nach seinem Auftritt in Schaffhausen fragen wir beim Comedian via Zoom nach.
kulturtipp: Renato Kaiser, machen Sie vor jedem Ihrer Programme ein solches Try-out?
Das ist unter Comedians so üblich, ja. Diesmal waren es drei Try-outs – in Olten, in Zuzwil bei Bern und in Schaffhausen. Wobei das bei mir eigentlich Leseproben sind, denn zentral sind die Texte. Die Bühne ist weniger wichtig, weil ich keine Kulissen, Kostüme, Einspieler oder Musik verwende.
Welche Erkenntnisse können Sie aus solchen Try-outs gewinnen?
Vor allem merke ich schon während des Lesens, welche Passagen zu lang sind. Die erste Programmhälfte dauerte fast eine Stunde… Das war so gewollt. Ich habe noch viel drin gelassen von dem, was jetzt gekürzt werden muss. Ideal wäre eine Spielzeit von zweimal 45 Minuten. Aber es ist immer besser, wenn man zunächst zu viel Material hat. Schlimmer wärs, wenn ich schon auf Idealkurs wäre und dann merken würde: Oha, es hat noch Längen.
Laden Sie Branchenkolleginnen oder Vertrauensleute ein?
Nein, nur meinen Regisseur Manuel Gübeli. Try-outs funktionieren für mich besser, wenn da ein Publikum sitzt, von dem ich keine Ahnung habe. Wobei ich grundsätzlich mehr auf mich und meine Texte achte und weniger aufs Publikum. In «Neu» gehts um Themen wie ewiges Leben, aber auch um Verhütung oder Abtreibung.
Haben Sie Unterschiede bezüglich Publikumsreaktionen bemerkt?
Ja, Frauen checken solche Jokes viel schneller, weil sie mehr darüber wissen, zum Beispiel, dass es Studien gab über die Pille für den Mann. Da müssen sie keine moralischen Bedenken überspringen. Bei den Männern merkt man hingegen, dass sie zuerst überlegen müssen: Ist das ein Problem? Und wenn ja, bin ich schuld daran? Und wenn ja, finde ich das dann gut oder schlecht?
Abtreibung ist, wie Sie auf der Bühne selbst sagten, nicht wirklich ein apérotauglicher Gesprächsstoff. Was hat Sie gereizt, sich dennoch damit zu befassen?
Ich suche nicht bewusst nach provokativen Themen. Ich merke allerdings, dass das, was die Gesellschaft heikel findet und was ich heikel finde, oft nicht dasselbe ist. Und ehrlich gesagt gibt es seit Jahrzehnten fast nichts Absurderes als diese Abtreibungsdebatten. Entsprechend gehe ich an das Thema ran.
Wie genau?
Indem ich zum Beispiel im Gesetzbuch nachschlage und dort auf eine Passage stosse, in der es um den «Schutz des ungeborenen Lebens aufgrund einer Notlage» geht. So kann ich mich dann an gewissen Wörtern festbeissen. Ich denke zum Beispiel darüber nach, wann ein Leben eigentlich anfängt, worauf ich mich hinterfrage: Warum will ich darüber reden? Ich habe ja nicht einmal eine Gebärmutter. Und zack: Gebärmutter! Was ist das eigentlich für ein seltsames Wort? Ich glaube, mit solchen Überlegungen hole ich das Publikum ab, ohne dass das Ganze angestrengt wirkt.
Es geht um Leben oder Nichtleben in Ihrem Programm. Warum nennen Sie es «Neu»?
«Neu» ist für mich eine Art zeittypisches Phänomen, spätestens seit der Pandemie. Noch vor 10, 15 Jahren konnte man mehr dahinleben, aber jetzt hat alles seine Konsequenzen: Klimawandel, ökologischer Fussabdruck et cetera. Die Menschen überlegen sich, ob sie unter diesen Umständen noch Kinder haben wollen. Da steckt etwas Tieferes drin, ein gesellschaftliches Grundgefühl. Wie sehr das tatsächlich zutrifft, habe ich erst ziemlich spät festgestellt, weil ich immer erst beim Schreiben merke, wo die Querverbindungen sind und was eigentlich der rote Faden des Programms ist.
Neu
Premiere: Mi, 23.8., 20.00
Casinotheater Winterthur
Tournee: www.renatokaiser.ch
«Neu» von Renato Kaiser
Gebärmutter, Fristenregelung, Joggerinnen, Zahnseide – in seinem Programm «Neu» seziert Renato Kaiser (fast) alles zwischen Leben und Tod, wobei er mit bestechendem Witz alltäglichen Wörtern und Dingen auf den Grund geht. Der 35-Jährige begann 2005 als Poetryslammer, bevor er abendfüllende Satireprogramme entwickelte und im Schweizer Radio und Fernsehen auftrat. 2020 wurde er mit dem internationalen Kabarettpreis Salzburger Stier ausgezeichnet.
Schweizer Comedians auf Tournee
Jane Mumford: Rhythmisch, sarkastisch und voll sprühender Fantasie: Der halb britischen, halb schweizerischen Comedienne ist mit ihrem Solo-Erstling «Reptil» ein Paradestück des absurden Humors gelungen. Ein paar Vorstellungen gibts davon noch.
Ab 19.8., www.janemumford.ch
Mike Casa: Innert kurzer Zeit hat der englisch sprechende Tessiner über 17'000 Follower auf Instagram und Tiktok begeistert. Jetzt tourt er durch die Schweiz und hat zwei selbstproduzierte Comedy-Specials auf Youtube gestellt.
Ab Mo, 28.8., www.mikecasacomedy.ch
Peter Löhmann: Lachen für einen guten Zweck? Der deutsch-schweizerische Comedian setzt sich mit seinem Hilfswerk Magic Moments seit über 15 Jahren für Kinder in Nepal und auf Haiti ein. Der Erlös des Premierenabends von «Papatastisch» wird dafür gespendet.
Premiere: Sa, 2.9., 19.30 Kurtheater Baden AG, www.loehmann.ch
Massimo Rocchi: Warum ein neues Programm, wenn das aktuelle mit Best-of-Hits so erfolgreich ist? Pantomime, Sprachakrobatik und allerlei Absurditäten – das bietet Rocchis «Carte Blanche», mit der er bis 2024 unterwegs ist.
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Hazel Brugger: Sie ist längst ein internationaler Star, ihr jüngstes Programm «Kennen Sie diese Frau?» ist fast überall ausverkauft. Tickets gibts noch für den Live-Podcast «Hörerlebnis», den Brugger zusammen mit ihrem Partner Thomas Spitzer betreibt.
Do, 7.9., 20.00 Bierhübeli Bern, www.hazelbrugger.com