Zuerst hielt ich es für ein Fake. Ein SMS von Papst Franziskus! Kann ja nicht sein. Und was für ein SMS! Hatte er etwa meinen Roman «Godless Sun» gelesen? Sicher nicht, man kann sich als Autor auch zu wichtig nehmen. Er schrieb, dass er am 21. Juni in die Schweiz käme. Er würde an diesem Tag in Genf eine Messe halten. Und dann würde er auch noch eine Delegation des Bundesrats sowie Christoph Casetti, den offiziellen Exorzisten des Bistums Chur, treffen. Und dann eben auch mich. Falls ich Zeit hätte.
Ich antwortete ihm, dass am 21. Juni Argentinien gegen Kroatien spielt, und ich mir das Spiel nicht entgehen lassen wolle. Ob wir vielleicht zusammen bei mir schauen könnten? Die philippinischen Frühlingsrollen meiner Frau seien legendär. Ich fragte ihn, worüber er denn mit mir sprechen wolle. Er schrieb, die katholische Kirche brauche einen Reset, man müsse den Mitgliederschwund stoppen. Er sammle Ideen.
Ich empfahl ihm spontan einen Börsengang, eine Vatikan AG. Jeder Katholik könnte dann Aktien zeichnen und Teilhaber werden. Ich mailte ihm, ich hätte Erfahrung mit dem Texten von IPO-Prospekten (Initial Public Offering) und es sei wirklich ratsam, einen Profi wie mich zu engagieren, denn Prospektbetrug sei ein schweres Delikt und ende hinter Gittern. Und das sei nun etwas, das sich der Vatikan nach all den Skandalen nicht mehr leisten könne.
Der Heilige Geist begann zu leuchten und der Papst bat um nähere Details. Zuerst, erklärte ich ihm, müssten wir über die Produktepalette der neuen Vatikan AG diskutieren, über den USP, den Unique Selling Point. Inhalt wäre die Vermarktung der Figur Christus. Aber es gebe da noch einiges abzuklären. Ist die Marke schon eingetragen? Ist die Story urheberrechtlich geschützt?
Hier stiessen wir bereits auf ernsthafte Probleme, denn Franziskus klärte mich darüber auf, dass alles nur geklaut sei, dass das Christentum auf den archaischen Lichtreligionen der Bronzezeit basiere, auf der Verherrlichung der göttlichen Sonne, die später in den Kult um den Sonnengott Mithras einfloss, den Lieblingsgott der römischen Legionäre. Nun gut, schrieb ich, irgendwie ist ja alles nur geklaut. Wer hat die Maus erfunden? Apple? Nein, Xerox. Wer hat den Eiffelturm erfunden? Gustave Eiffel? Nein, Maurice Koechlin.
«Welche immateriellen Werte wird die Vatikan AG haben?», fragte ich. Der Papst meinte, die ganze Story sei doch etwas wert, die könne man in der Bilanz aktivieren. Die sei werthaltig, selbst Papst Leo X. habe gesagt, dass alle Welt wisse, «wie viel uns diese Fabel von Christus eingebracht hat». Hätte die Vatikan AG die Urheberrechte an dieser Fabel? Nein, das Urheberrecht erlischt (dort, wo es existiert) rund 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Wer hat die Bibel geschrieben? Die Brüder Grimm? Der Papst war ratlos. Ich war es auch.
Ich versuchte, den Knackpunkt zu überspringen und lösbare Probleme zu erörtern. Wie sollte die neue Vatikan AG auftreten? Vielleicht könnte McDonald’s ein Vorbild sein mit seinem weltweiten Franchisesystem: einheitliche Einrichtungen, einheitliche Kostümierung der Angestellten, ein Brand mit starkem Wiedererkennungseffekt. Der Papst gab mir recht. Aber er befürchtete, dass die Kirche gar keinen Brand mehr habe. Warum? «Weil ihr mit dem Zeitgeist geht!», warf ich ihm vor. Wer dem Zeitgeist hinterherhechelt, wird von ihm pulverisiert. «Ihr müsst wieder Kult werden!»
Ein Kult besteht darin, dass er sich nie wandelt. Wie damals der Ku-Klux-Klan. Die liefen konsequent in weissen Nachthemden rum. Oder wie Coca-Cola. Die Erkennungsfarbe ist und bleibt rot und der Schriftzug ist in Glas gemeisselt. Also zurück zu den Wurzeln, zu den unterirdischen Höhlen des Mithraskultes, Fackeln an den Felswänden, gregorianische Gesänge und alles in lateinischer Sprache. Versteht eh keiner. Dafür könnte man sogar Eintritt verlangen. Ich könnte eine neue Götterstatue entwerfen, wie die kolossale Zeusstatue des Phidias. Aber ein bisschen mehr naturnah positionieren, damit man all die neuen Patchworkreligionen absorbieren kann. An den Sonnenkult anknüpfen, käme gut an, zurück zur Natur und so.
Beim Inkasso wäre es hingegen sinnvoll, dem Zeitgeist zu folgen. Mit NFC (Near Field Communication) ausgerüstete Smartphones könnten das rituelle Inkasso vereinfachen. Die kämen dann beim Eintritt in die Höhle zur Anwendung und selbstverständlich – ähnlich wie bei McDonald’s – auch bei der Verpflegung mit der McHostie. Den Preis könnte man ruhig hoch ansetzen, denn schliesslich ist eine gesegnete Hostie die Reinkarnation Jesu.
An den bisherigen Finanzanlagen müsste man eigentlich nichts ändern, da ist in den Aktiendepots des Vatikans schon alles enthalten, was man so zum Leben und Sterben braucht. Würde man nach und nach die Schätze des Vatikans in der Bilanz im Wert berichtigen, hätte «die Kirche der Armen» ein Kapital von über einer Billion zusammen. Dagegen wären Apple, Google und Microsoft arme Kirchenmäuse.
Auch das Merchandising hätte enormes Potenzial. Empfehlenswert wäre eine Kooperation mit Nestlé, dem Weltmarktführer für Mineralwasser. Gesegnetes Perrier-Wasser. Da kann man sich den mühsamen Gang nach Lourdes sparen.
«Und ich wäre der CEO?», fragte der Papst, «Verwaltungsratspräsident oder nur noch Grüss-August?» Die Dreifaltigkeit, erklärte ich ihm, schliesse weder das eine noch das andere aus. Sie müssten aber in ihren Verträgen ein Konkurrenzverbot haben, damit sie im Falle eines Burnouts nicht plötzlich zum Islam konvertieren.
Franziskus war begeistert, und er zeichnete bereits erste Entwürfe für die Etikette eines päpstlichen Weins «Cheval des Andes».
«Und?» fragte ich ihn, «Argentinien gegen Kroatien – bei Ihnen oder bei mir?»
Claude Cueni
Der 62-jährige Schriftsteller Claude Cueni machte sich in den letzten Jahren einen Namen mit seinen autobiografischen Romanen «Script Avenue» und «Pacific Avenue». Zudem verfasste er zahlreiche historische Romane, unter anderem über den Papiergelderfinder John Law oder Julius Cäser. Cueni schrieb auch Drehbücher für Serien wie «Eurocops» oder den «Tatort».