Der eine war der feinfühlige Künstler, der andere der kalte Rechner – Visionäre waren beide: Gustave Eiffel mit dem nach ihm benannten Turm für die Weltausstellung von 1889 in Paris, Frédéric Bartholdi mit der Freiheitsstatue im Hafen von New York, die drei Jahre zuvor auf Liberty Island eingeweiht wurde. Sie sind die Helden im neuen Buch des Basler Autors Claude Cueni, der bereits historische Romane wie «Cäsars Druide» oder «Das grosse Spiel» über den Finanzjongleur John Law im 18. Jahrhundert geschrieben hat. Letztes Jahr konnte der 59-jährige Schriftsteller mit dem teilweise autobiografischen Roman «Script Avenue» einen Auflageerfolg feiern, an einer Fortsetzung dieses Werks arbeitet er gegenwärtig.
Heftige Emotionen
Mit «Giganten» erzählt er die Geschichte einer angeblichen Rivalität zwischen Eiffel (1832–1923) und Bartholdi (1834–1904), die er mit ereignisgeschichtlichen Episoden aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schmückt. In Cuenis Worten ist der Roman eine «Fiktion aus historisch gesicherten Fakten und teilweise erfundenen Ereignissen». So entzündet sich der Konflikt zwischen den beiden Pionieren – nach jugendlicher Freundschaft – im Kampf um die Gunst einer fiktiven Angélique. Der flamboyante Eiffel kann ihr materielle Sicherheit bieten, Bartholdi viel Liebe – sie will beides.
Wie in allen seinen Büchern setzt der Autor auf heftige Emotionen, etwa als die beiden Kontrahenten sich bei einem Zwist um die begehrte Geliebte gegenüberstehen: «Frédéric fixierte Gustave, lauerte auf eine Reaktion, doch Gustaves Gesicht zeigte keine Reaktion.» Die beiden Männer «erkannten, dass sie Rivalen geworden waren».
Gefährliche Expedition
Reizvoll für den Leser ist die Begegnung mit historisch verbürgten Figuren. Da gibt es einen Besuch im Atelier des legendären Fotografen Gaspard-Félix Tournachon, genannt Nadar. Oder auf einer Reise der Protagonisten nach Ägypten tritt Ferdinand de Lesseps auf, der Erbauer des Suezkanals.
Abenteuerlich ist die erzählerische Exkursion, auf die Cueni die halbfiktionale Figur Charles Bartholdi schickt, den älteren Bruder von Frédéric. Der historisch verbürgte Mann ist in der Version Cuenis der Typ Gambler, dem das Leben nicht risikoreich genug sein kann. So trampt der Unglückliche in einen entlegenen Winkel Alaskas, wo Gold gefunden wurde. Cueni schildert seinen vergeblichen Kampf gegen die Unbilden der Natur im Stil einer fiebrigen Horrorgeschichte. Mit dieser Expedition ebenso wie mit der Nilfahrt zu den Pyramiden illustriert er, wie gefährlich das Leben in jener Zeit für Reiselustige war – nicht nur wegen des fehlenden Komforts. Cueni schildert ausführlich die Folgen kolonialer Sexabenteuer der Europäer im Orient – fast alle Männer kehrten mit einer Syphilis-Infektion heim.
Der Roman «Giganten» enthält schweizerisches Lokalkolorit. Eiffel wie Bartholdi waren mit der Stadt Basel verbunden. Bartholdis Strassburger Denkmal beim Bahnhof SBB lockt seit Ende des 19. Jahrhunderts den Besucher mit imperialer Geste in die Stadt.
Unterhaltsame Lektüre
Eine tragische Dimension dagegen hat die Verbindung von Gustave Eiffel zu Basel. Eine von ihm konstruierte Eisenbahnbrücke stürzte am 14. Juni 1891 über dem Flüsschen Birs bei Münchenstein zusammen, als ein Personenzug darüberfuhr. Der Unfall kostete 73 Passagieren das Leben – es ist das bis heute schwerste Eisenbahnunglück der Schweiz. Die Katastrophe war auf Konstruktionsmängel zurückzuführen, die dem Nachruhm Eiffels indes nichts anhaben konnten. Der Glanz des Pariser Turms war zu gross.
«Giganten» ist ein unterhaltender Sommerlesestoff, der zu einer fantasievollen Reise einlädt. Die Leserinnen und Leser können in all den Intrigen und Abenteuern mitschwelgen – und erfahren dabei Überraschendes vom Leben im 19. Jahrhundert.
Claude Cueni
«Giganten»
398 Seiten
(Wörterseh-Verlag 2015).