Vielleicht denken alle Frauen von den Männern das Gleiche wie die namenlose Protagonistin: «Im Grunde schaffe ich es wohl einfach nicht, vernünftigen Gebrauch von ihnen zu machen oder ihnen klar einen Zweck zuzuschreiben.» Wie verbreitet diese Ansicht ist, bleibe dahingestellt. Für die Ich-Erzählerin im Roman «Teich» ist es eine Art Erleuchtung. Denn was amouröse Beziehungen angeht, läuft es bei ihr nicht so rund.
Leise Angedeutetes statt fixierte Rollen
Die 20 in Kapitel gegliederten Geschichten haben fast keine Handlung: Eine Frau lebt allein in einem Steinhaus am «äussersten westlichen Ende Europas» neben einem Teich. Das kann Irland sein oder auch nicht. Bennett ist eine Meisterin der leisen Hinweise, die der Leser entschlüsseln muss: «Dann fiel mir plötzlich ein, dass ich schon länger als einen Tag in Todesangst lebte, und diese Einsicht bescherte mir gemischte Gefühle.» Abgründe eröffnen sich – fragt sich nur, welche.
Denn hinter diesem Buch steckt eine Sphinx. So wenig wie die Autorin Claire-Louise Bennett im Roman von der Ich-Erzählerin preisgibt, so verschwiegen ist sie, wenn es um sie selbst geht. Zu einem Telefongespräch ist sie nur unter der Bedingung bereit, dass nichts Persönliches zur Sprache kommt. Sie ist peinlich darauf bedacht, keine öffentliche Figur zu werden, und sucht den Schutz der Abgeschiedenheit. «Ich schreibe über den Lebensalltag, nicht über das Leben an sich», sagt sie. Ihres Erachtens enthalten die meisten Romane zu viel Handlung. «Sobald eine Person im Detail beschrieben ist und einen Namen trägt, ist sie fixiert.» Die Wirklichkeit sei anders: «Meistens wissen wir sehr wenig von den andern und machen uns eher ein Bild von ihnen», sagt Bennett.
«Ein lustiges und exzentrisches Debüt»
Ein so kryptisches Buch könnte es schwer haben bei der Kritik. Doch die Rezensenten sind begeistert, auch wenn die Erstausgabe in einem irischen Nischenverlag erschienen ist. Die «New York Times» schrieb: «Ein scharfkantiges, lustiges und exzentrisches Debüt, ein seltsam lebensnahes Buch.» Der «Guardian» nennt es schlicht «aufsehenerregend».
Die Biografie der Autorin ist ähnlich diffus wie ihr Schreiben. Bennett wuchs in der Grafschaft Wiltshire im Südwesten Englands auf. An der Universität von Roehampton bei Wimbledon studierte sie Literatur und Theaterwissenschaften. Heute lebt sie an der irischen Westküste in Galway.
Aber die junge Schriftstellerin verharrt nicht nur im Unbestimmten. Urplötzlich ändert sie die Stilebene und wird sehr explizit, etwa wenn sie ihre Protagonistin von den frivolen Mails erzählen lässt, die sie mit einem Partner austauschte: «Es war wirklich schön, genauestens auszuführen, wie und wo ich mich um den Verstand vögeln lassen wollte.»
Im ersten Kapitel «Reise im Dunkeln» spricht ein junges Mädchen, das eine unbestimmte Person anhimmelt: Man spürt, dass die Pubertierende noch nicht sagen kann, was sie als junge Frau in den E-Mails in Worte fasst. Allerdings überkommt die Wollust sie nicht immer gleichermassen. Einen Mann kann sie nur empfangen, wenn sie «etwas Alkohol konsumiert» hat, aber dann klappt es ziemlich gut.
Von der Einsamkeit, die jeder kennt
Bennett macht es gerne spannend. Immer wieder schreibt sie vom «grossen Tag». Es könnte eine Hochzeit sein, aber nicht die eigene. Oder der Nationalfeiertag St. Patrick’s Day. In ihren Augen unwichtig: «Mich interessiert nur, wie sich die Leute verhalten.» Und sie fügt an: «Ich suche das Mysteriöse.»
Eine individuelle Einsamkeit durchzieht ihr erstes Buch. Was soll daran interessant sein? Bennett kennt die Antwort, vielleicht aus eigener Erfahrung, aber sie schweigt sich aus. Nur so viel: «Wer einsam ist, darf den Kontakt zur Welt nicht verlieren, und er muss lernen, jeden Tag mit sich selbst zurechtzukommen.» Nach ihrer Erfahrung kennen alle Menschen solche Gefühle der Einsamkeit: «Aber die wenigsten reden darüber.» Darum erhebt die Autorin einen «universellen Anspruch auf das Dasein» mit ihrem Buch der Nichthandlung.
Buch
Claire-Louise Bennett
Teich
Aus dem Englischen von Eva Bonné
217 Seiten
(Luchterhand 2018)