Ich möchte der ganzen Welt ganz offen sagen, die Medien sind nirgendwo so frei wie in der Türkei», sagte kürzlich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Niemand komme ins Gefängnis, weil er oder sie journalistisch arbeite, behauptete sein Justizminister Bekir Bozdag. Und Regierungschef Binali Yildirim versicherte: «Wir werden die Pressefreiheit energisch verteidigen.»
Dabei steht es jedes Jahr schlechter um die Pressefreiheit in der Türkei. Als Erdogan 2003 die Regierung als Ministerpräsident übernahm, befand sich das Land auf Platz 116 der Rangliste für Pressefreiheit der Organisation «Reporter ohne Grenzen» – 2016 ist es auf Platz 151 von 180 Staaten abgerutscht. Seit den regierungskritischen Gezi-Protesten 2013 haben schätzungsweise 4000 Journalisten wegen kritischer Berichterstattung ihre Jobs verloren. Die Situation hat sich nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verschärft. Mindestens 156 Medienhäuser sind seitdem geschlossen worden. Laut der türkischen Plattform für unabhängigen Journalismus P24 sitzen derzeit 169 Journalisten in türkischen Gefängnissen.
Was er beispieleweise von den vielen Auslandskorrespondenten hält, machte Erdogan etwa im Juni 2013 deutlich. Damals redete er im Istanbuler Stadtteil Zeytinburnu vor etwa 100 000 Menschen. Dabei griff er ausländische Journalisten direkt an. «Seit Tagen habt ihr verlogene Nachrichten produziert», sagte er dort. «Wer seid ihr, wer seid ihr? Seid ihr berechtigt, über die Türkei Urteile zu fällen?» Und weiter: «Ihr habt der Welt eine andere Türkei gezeigt, aber ihr seid allein geblieben mit euren Lügen.» Wie immer bei solchen Veranstaltungen jubelten ihm die Menschen zu, es wurde «Lasst uns sie zerquetschen» gerufen.
Rund drei Jahre habe ich als Korrespondentin für die österreichische Nachrichtenagentur APA in Istanbul gearbeitet. Als ich anfing, vom Bosporus aus zu schreiben, waren die Gezi-Proteste kurz zuvor gewaltsam niedergeschlagen worden, doch noch immer gab es eine halbwegs freie Presse, die regierungskritische Zivilgesellschaft wagte sich auf die Strassen, der syrische Bürgerkrieg war noch nicht auf türkischem Boden angekommen.
Doch dann setzte der Abwärtstrend ein, und wir wurden zu reinen Krisenberichterstattern. Selbstmörder des «Islamischen Staates» oder der kurdischen PKK liessen regelmässig Bomben hochgehen. Es wurde im Dauermodus gewählt, um das von Erdogan gewünschte Präsidialsystem zu errichten. Recherchieren wurde schwieriger, weil immer weniger Menschen mit Journalisten reden wollten. Wir Auslandskorrespondenten werden ständig von Ankara als Agenten abgestempelt, das Misstrauen sitzt heute tief, was die Arbeit zusätzlich erschwert.
Denn als Journalistin gehört es zu meinen Pflichten, mit jeder Seite zu sprechen: Sowohl mit Regierungsmitgliedern als auch mit Gegnern. Doch Ersteres war noch nie leicht. Denn AKP-Politiker reden selten mit der westlichen Presse. Es wird abgewiegelt, vertröstet, hingehalten. Und die nahezu täglichen Festnahmen von türkischen Kollegen machen es immer schwieriger, Gesprächspartner zu finden. Denn die Angst, dass es lebensbedrohliche Konsequenzen haben könnte, die AKP zu kritisieren, sitzt zu Recht tief. Die Menschen werden vorsichtiger, telefonische Gespräche sind unmöglich. Es gibt Verbote, aus bestimmten Regionen zu berichten. Wer es dennoch wagt, der muss damit rechnen, ständig überprüft, auf den Titelseiten der AKP-Blätter als «Spion» beschimpft zu werden, vorübergehend oder langfristig festgehalten zu werden.
So sitzt seit Mitte Februar der «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel wegen «Terrorpropaganda» und «Volksverhetzung» im Gefängnis. Yücel hat neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft und wird von den türkischen Behörden als einheimischer Journalist betrachtet. Ende April wurde in Istanbul die deutsche Journalistin Mesale Tolu festgenommen; sie wartet seitdem mit ihrem Kind im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy auf ein Verfahren. Auch ihr wird «Terrorpropaganda» vorgeworfen. Die Mitarbeiterin der linken Nachrichtenagentur Etha besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft, Deutschland hat daher einen völkerrechtlichen Anspruch auf konsularische Betreuung. Anfang Juni wurde der französische Fotoreporter Mathias Depardon aus der Türkei ausgewiesen, nachdem er einen Monat lang in einem Abschiebezentrum bei Gaziantep festgehalten worden war. Als Grund für seine Festnahme wurde genannt, dass er ohne Presseausweis tätig war.
Immer mehr ausländische Korrespondenten bekommen zu spüren, was ihre türkischen Kollegen seit Jahren ertragen müssen. Die Angst vor Willkür, Schikanen, Anklagen und Ausweisung wächst. Die Regierung sucht sich gezielter aus, wer berichten darf und wer nicht. Immer mehr ausländische Berichterstatter werden an der Einreise gehindert, werden bedrängt oder bekommen erst gar keinen Presseausweis vom türkischen Presseamt ausgehändigt. Wer das gelbe Plastikkärtchen aber nicht erhält, dem fehlt automatisch die Arbeitserlaubnis und die Aufenthaltsgenehmigung.
Trotzdem hält Ministerpräsident Yildirim daran fest, dass Korrespondenten ungehindert arbeiten könnten. Es seien rund 360 ausländische Journalisten beim Presseamt in Ankara angemeldet, sagte er Anfang Juli. «Wenn es Unterdrückung, Haft oder Einschüchterung geben sollte, dann könnten viele Menschen hier nicht arbeiten», befand er und beschwerte sich darüber, dass die Türkei zu Unrecht verurteilt werde.
TV
Themenabend
Türkei – Ein Jahr nach dem Putsch
Di, 11.7., ab 20.15 Arte
Cigdem Akyol
Geboren 1978 in Herne (Deutschland), studierte sie Völkerrecht und Osteuropäische Geschichte in Moskau, St. Petersburg und Köln. Anschliessend folgten eine Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule und acht Jahre als Redaktorin bei der «taz» in Berlin. Danach arbeitete sie als Korrespondentin der österreichischen Nachrichtenagentur APA in Istanbul. Akyol ist Autorin der Bücher «Generation Erdogan» (Kremayr & Scheriau, 2014), und «Erdogan: Die Biografie» (Herder, 2015). Sie arbeitet heute als Redaktorin der Konsumentenzeitschrift «Saldo».