Seit ich das Buch geschrieben habe, einen Roman über einen Grossstadtgarten, hat sich für mich einiges verändert. Jetzt nicht Glamour, Benefizgalas oder so. Dazu hätte ich ein Buch über öltriefende Familienclans schreiben müssen oder jetsettende Supermodels. Wäre auch gegangen. Zwischenmenschlich verhalten sich diese Randgruppen nicht wesentlich anders als der realere Berufemix aus dem Mietshaushinterhof. Ob man sich um Junior-Millionäre streitet oder den geeigneten Standort für Tomaten, ist im Prinzip einerlei, und auch ein kleiner Garten Eden wird manchmal zu umkämpftem Terrain. Am Ende liegt Unkraut immer im Auge des Betrachters, und alle sind ein Stück gewachsen. Menschlich, meine ich.
Der Knackpunkt ist das Setting. Die Zugänglichkeit. Garten kennt jeder, hat jeder mal gemacht und wenn nur im Blumentopf. Amerikaner bedienen sich, um etwas als sehr durchschnittlich zu bezeichnen, der Wendung «garden variety». Garten also als Gegenteil von exklusiv. Tatsächlich meint seit Erscheinen meines Buchs «Garten, Baby!» jeder, seine Feld-Wald-und-Wiesen-Wachstumstheorien sowie die besten Gartenanekdoten mit mir teilen zu müssen. Das – nicht Glamour – ist, was meinen Alltag so gründlich umgegraben hat.
Die Nachbarin, mit der ich sonst kaum ein Wort gewechselt habe, Fahrstuhlgespräche, mehr nicht, blockiert neuerdings meinen Weg. Jeden Morgen meldet sie mir ihren Bodycount, die Blattläuse von ihrer Balkonrose. Sie zerreibt sie zwischen Daumen und Zeigefinger, wie sie mit einer Geste anzeigt, die auch «Geld» meinen könnte. Ich hatte die Frau immer als harmlos abgespeichert, langweilig, aber jetzt erkenne ich das blutrünstige Glitzern in ihrem Blick.
Dann mein Schwiegervater. Er glaubt, mein Buch sei nur seinetwegen zustande gekommen, zumindest die ornithologisch relevanten Stellen; die Vogeleisammlung, die er als kleiner Junge angelegt hat, holt er bei Familienzusammenkünften immer schon vom Estrich. Aber seit Erscheinen des Buchs sind seine naturkundlichen Erläuterungen ausführlicher geworden, mehr Latein denn je. Mein Mann und seine Geschwister geben mir an den Monologen die Schuld.
Zu viele Worte auch in der Lokalzeitung. Sie haben über mich berichtet, ein langes Interview. Schön eigentlich, die Aufmerksamkeit. Ein Versuch, Gärten als ein Psychogramm zu lesen: Zeig mir deinen Garten, und ich sag dir, wer du bist. Nur, dass meine Worte im Kopf des Redaktors wohl eigene Blüten getrieben haben. Jedenfalls hätte ich nie – schon gar nicht in hoher Auflage – gesagt, der Garten sei ein Ort der Versöhnung, zwischen Mensch und Natur, Mann und Frau … Plötzlich kamen sogar von entfernten Bekannten – Männern! – Garteneinladungen in meine Inbox geflattert: «Versöhnungsangebote».
Wetten, die Blonde, die gleich zwei Exemplare signieren liess neulich bei einer Lesung, hat ein Abo dieser Lokalzeitung. «Für Lawrence, mein Eden auf Erden», diktierte sie und: «Für Leo, mein Eden auf Erden.» Ohne den Artikel hätte sie mich nie zwinkernd ins Vertrauen gezogen: Eine Frau, zwei Gärten und zwei Männer, die nichts voneinander wissen dürfen. Meine Hand zitterte vor Sorge, ich könnte mich verschreiben, die Namen hybridisieren, alles auffliegen lassen.
Die Lesung fand übrigens in einem Garten statt. Von Autoren, die einen Roman über einen neurotischen Pianisten oder eine tierliebe Doppelagentin geschrieben haben, würde keiner erwarten, dass sie zwischen Beeten läsen. Dabei fröstle auch ich leicht und mag keine Schnaken. Den ersten Auftritt der Gartensaison hatte ich im März. Ostdeutschland, tiefes Schneegestöber. Die anwesenden Rentner hatten wohl einen Ratgeber oder ein Handbuch erwartet. Dennoch kaufte einer das Buch und liess es signieren, für den Vorsitzenden des Gartenbauvereins, der leider nicht anwesend sein konnte. Aus dem Hintergrund rief einer: «Aber der Enno liest doch gar nit!» Wir haben dann noch versucht, übers Wetter zu reden, Rote Beete und die Zucchini-Wochen im Jahr.
Apropos Zucchini: Plötzlich schicken mir Menschen, mit denen mich vor dem Buch eine angenehm distanzierte Bekanntschaft verband, Selfies mit Monsterzucchini aus Eigenanbau. Schlimmer noch: Manche bringen sie mir vorbei. Als Geschenk! Ich weiss nicht, wie viel deutlicher ich in meinem nächsten Buch werden muss? Es gibt in «Garten, Baby!» doch schon dieses Kapitel über die Zucchini-Plage, die Last des Füllhorns, Zucchinikuchen, Zucchinirelish, Zucchinimarmelade und -ketchup. Also hier noch mal ausgedeutscht: KEINE ZUCCHINI FÜR MICH, Danke. Wenns unbedingt sein muss, dann halt an meine Agentur. Sollen die sehen, wie sie damit zurechtkommen.
Das Wuchern, diese Üppigkeit, hat auch immer was von Sex. Innuendo. Auch deshalb können garden talks unangenehm sein. Man will ja nicht gleich mit jedem über Pflanzen sprechen. Gestern Abend war es aber auch mal umgekehrt. Mara und ich sassen zusammen, und statt wie sonst Tacheles zu reden, wir kennen uns ewig, erzählte Mara von der Quecke in ihrem neuen Gartenstück. Eine echte Plage, sodass Mara radikal umgegraben hat, im Glauben, das Problem an der Wurzel zu packen. Natürlich hat sie damit eine Zauberlehrling-Situation geschaffen: Sie hatte die zerhackstückelten Wurzeln keineswegs vernichtet, sondern im Gegenteil vermehrt, jedes einzelne Fragment der Grundstock einer neuen Pflanze. Auch Sextalk das, aber halt rein vegetativ. Fast möchte ich behaupten, mein Leben sei jetzt weniger glamourös als vorher.
Neuer Plan, also: Mein nächstes Buch soll «Glamour, Baby!» heissen, vielleicht von einer Fashion-Bloggerin handeln. Aber Moment: Was, wenn dann alle mit mir nur noch über Mode reden wollen? Wird die Öffentlichkeit von mir gepflegte Augenbrauen erwarten? Fancy Pediküren? Size Zero? Ellbogenlifting? Dann lieber doch kein Glamour. Vielleicht ist das mit dem Garten völlig okay. Mehr ich, jedenfalls, der Wildwuchs.
PS: Jetzt, wo sie schon mal da ist, die Gartenplattform – von mir auch noch schnell was zu Bienchen und Blümchen: Bitte macht sie möglich! Soll heissen, bereitet beiden ein schönes Zuhause bei euch, mindestens einen Topf Lavendel pro Person am offenen Fenster. Danke!
Christine Zureich
Die 1972 in Suffern, New York, geborene Christine Zureich ist am Bodensee aufgewachsen. Sie hat Soziologie studiert und arbeitete als Übersetzerin, Sprachtrainerin und Museumspädagogin in Frankfurt am Main. Kürzlich ist ihr Debütroman «Garten, Baby!» im Ullstein Verlag erschienen. Die Autorin lebt mit Mann und Kind am Bodensee. Ihre Garten-Philosophie: «Wachsen und wachsen lassen.»