Die Vögel zwitschern in der sinfonischen Dichtung für Cello und Orchester, der «Waldesruhe» des tschechischen Komponisten Antonín Dvorák. Das warme Mittagslicht flutet durch die Blätter der Bäume, und das Cello singt in entspannter, friedlicher Ruhe sein Glück in die heile Welt. Chiara Enderle, die junge Schweizer Cellistin, spielt dieses kurze Konzertstück zu Beginn ihres Programms mit dem Zürcher Tonhalle-Orchester. Eine Herausforderung: «Man muss versuchen, mit den ersten Tönen Atmosphäre zu erschaffen, damit das Publikum sich in diese Stimmungen einfühlen kann.»
Auf dieses Orchester kann sie sich verlassen. Denn die Musiker kennen sie gut, spielt sie doch ab und zu in den Reihen der Cellisten mit. Sie findet es bereichernd, die Musik aus diesem Blickwinkel zu erleben: «Wenn ich das Orchester von innen kenne, kann ich als Solistin besser damit umgehen. Aber mir gefällt es, selber Verantwortung zu übernehmen und nicht nur Anweisungen zu befolgen.»
Aus einem Musikerhaus stammend
Schliesslich ist Chiara Enderle Solistin und auf dem besten Weg zu einer grossen Karriere. In einem Musiker-Haus aufgewachsen wäre alles andere kaum infrage gekommen. «Stimmt nicht unbedingt», sagt Enderle dazu, «zwar wäre es ungewöhnlich gewesen, wenn ich kein Instrument gespielt hätte.» Denn alle Verwandten und Freunde in ihrer Umgebung haben Musik gemacht. Aber es war nicht von Anfang an vorgezeichnet, dass sie professionelle Musikerin wird. «Ich habe viele Interessen, andere Berufe wären für mich auch infrage gekommen.»
Auf Tournee mit dem Tonhalle-Orchester Zürich
Der Gedanke, Musikerin zu werden, reifte langsam heran. Erst während des Studiums habe sie gründlich darüber nachgedacht: «Die grossen Solokonzerte begleiten uns in der Ausbildung, und man möchte sie irgendwann im Konzert aufführen. Aber ich konnte nicht erwarten, dass ich als Solistin erfolgreich sein würde. Umso glücklicher bin ich, dass es möglich geworden ist.»
Auch auf CD hat die Cellistin bereits ihre Visitenkarte abgeliefert: Zum einen hat sie das bis dahin praktisch unbekannte Konzert des Beethoven-Zeitgenossen Paul Wranitzky eingespielt. Zum anderen ein Album mit Werken von Ernest Bloch aufgenommen: Neben den hin und wieder gespielten «jüdischen» Cellostücken sind darauf auch drei hintergründige und introspektive Cello-Solosuiten zu hören. Solche Herausforderungen mag Chiara Enderle, wie etwa beim Cellokonzert von Arnold Schönberg, das sie kürzlich erarbeitete, und das in seiner gewollt lächerlichen Virtuosität höchste Schwierigkeiten an die Solistin stellt: «Es macht mir Spass, an meine technischen Grenzen zu gehen. Ich fühle mich dann wie ein Sporttrainer, und meine Finger sind meine Athleten.»
Zum Konzept der Konzertreihe «Migros-Kulturpozent-Classics», gehört, dass eine junge Schweizer Solistin auf Tournee geht. Mischa Damev, der seit 2007 als Intendant für die Programme verantwortlich ist, fördert konsequent einheimisches Schaffen. «Wir sehen das nicht dogmatisch, aber wir suchen für jede Tournee einen Schweiz-Bezug. Das hat bisher gut Platz gehabt, und ich musste mein Credo – Qualität, hinter der ich stehen kann – nicht zurechtbiegen.»
Aussergewöhnlich ist hingegen, dass der Pianist und Dirigent Damev das Tonhalle-Orchester einlädt. Zwar hat er sich schon verschiedentlich darum bemüht, Auftritte von Schweizer Orchestern in anderen Städten des Landes zu ermöglichen. Aber hauptsächlich spielen internationale Spitzenorchester in der Kulturprozent-Konzertreihe. Diese Saison etwa das Mariinsky-Orchester aus St. Petersburg unter Valery Gergiev, das Budapest Festival Orchestra unter Ivan Fischer oder das BBC Philharmonic unter Juanjo Mena.
Mit einem Geiger von Weltruf – Gil Shaham
Auf der aktuellen Tournee spielt das Tonhalle-Orchester unter seinem Chefdirigenten Lionel Bringuier neben der «Waldesruhe» das wohl populärste Werk von Antonín Dvorák, die «Sinfonie aus der Neuen Welt», mit ihrer gekonnten Vermischung von europäischer Romantik und den Melodien und Rhythmen Amerikas. Neben Chiara Enderle gibt es einen weiteren Solisten in diesem Programm, einen Geiger von Weltruf, den 1971 in Urbana (Illinois) geborenen Gil Shaham.
Er spielt das zweite Violinkonzert von Sergej Prokofjew. Der Russe schrieb es als eines der ersten Werke, nachdem er 1935 in die Sowjetunion zurückgekehrt war und – vorerst – als Volksheld gefeiert wurde. Der Ausnahmegeiger Gil Shaham spielte es bereits mit 13 Jahren zum ersten Mal. Letztes Jahr hat er es zum zweiten Mal aufgenommen und brillierte auf der CD mit der klanglichen Substanz seines Geigentons und seiner Leichtigkeit in den schnellen Passagen.
CDs mit Chiara Enderle
Paul Wranitzky
Cello Concerto op. 27 / Violin Concerto op. 11 / Symphony op. 16/3
Mit: Chiara Enderle (Cello)
Veriko Tchumburidze (Violine) Münchener Kammerorchester
Leitung: Howard Griffiths
(Sony 2016).
Ernest Bloch
Kammermusikwerke für Violoncello
U.a. mit «From Jewish Life»
Mit: Chiara Enderle (Cello)
Matthias Enderle (Violine)
Hiroko Sakagami (Klavier)
(Musiques Suisses 2017).
Migros-Kulturprozent Tournee VI: Tonhalle-Orchester Zürich
Mi, 31.5., 20.00 Victoria Hall Genf
Do, 1.6., 19.30 Kulturcasino Bern
Fr, 2.6., 19.30 Tonhalle Zürich
Programm
Dvorák: «Waldesruhe» op. 68 für Cello und Orchester
Prokofjew: Violinkonzert Nr. 2 op. 63
Dvorák: Sinfonie Nr. 9
«Aus der neuen Welt»
Tonhalle-Orchester Zürich
Lionel Bringuier (Leitung)
Gil Shaham (Violine)
Chiara Enderle (Cello)
Tickets: www.migros-kulturprozent-classics.ch