Charles Lewinsky Dunkle Zukunftsfantasien
Charles Lewinsky lässt seiner Fantasie freien Lauf – entstanden sind dabei 24 Zukunftsszenarien für die Schweiz. Urkomische und zuweilen düstere Satire.
Inhalt
Kulturtipp 04/2013
Jonas Frehner
Kleiner Gewaltakt zur sozialen Absicherung: «So ist es besser, Frau Maillard. Und jetzt: umdrehen und hineingehen. Ganz langsam. Ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert. Niemandem. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Immer pünktlich alle Rechnungen bezahlt. Fürs Alter gespart. Und jetzt … Dritte Säule, haben sie immer gesagt. Dritte Säule. Ich will nur haben, was mir zusteht.» So beginnt eine von 24 Zukunftsvisi...
Kleiner Gewaltakt zur sozialen Absicherung: «So ist es besser, Frau Maillard. Und jetzt: umdrehen und hineingehen. Ganz langsam. Ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert. Niemandem. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Immer pünktlich alle Rechnungen bezahlt. Fürs Alter gespart. Und jetzt … Dritte Säule, haben sie immer gesagt. Dritte Säule. Ich will nur haben, was mir zusteht.» So beginnt eine von 24 Zukunftsvisionen des Schweizer Autors Charles Lewinsky. Ein rüstiger Rentner kämpft darin um sein Recht auf die Auszahlung der Dritten Säule. Der gute Mann will dies brachial durchsetzen, indem er mit dem Sturmgewehr im Anschlag die Frau des Bankdirektors zu Hause überfällt.
In einem Monolog klärt der Räuber – oder je nach Perspektive der Bankkunde – die Frau des Bankiers darüber auf, wieso er sich gezwungen sieht, zum letzten Mittel zu greifen. Er mache eine Abhebung, und dies sei sein Recht als treuer Kunde. Bankkollaps hin oder her. Eine Geschichte, die nachdenklich stimmt in einer Zeit, in der die Sicherheit der Banken fraglich ist.
Sprachlich ausgetobt
Mit seinen teilweise beängstigenden, dann wieder belustigenden Blicken in die Zukunft der Schweiz hat Lewinsky die sprachlichen Schranken aufgehoben: Jede Geschichte ist in einer andere Textgattung verfasst. Und das Schreiben hat dem Autor sichtlich Freude bereitet: So tobt er sich in einem Schulaufsatz aus, der eine Schulreise zum Blochermausoleum in Rhäzüns zum Thema hat. Inklusive köstlichem «Kinderdeutsch» und einer Diskussion, ob Mörgeli sich aus Treue zu Blochers Füssen begraben liess.
Was wäre wenn?
In einer anderen Vision geht es um einen in antiquierter Sprache verfassten Bundesbrief, den die Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden per Mail an den «sogenannten» Bundesrat schicken. Die Urkantone wollen sich partout nicht der EU anschliessen und sagen sich darum von der Schweiz los.
Lewinsky verschont auch das politisch linke Lager nicht. So beschreibt er in einer Predigt zum St. Cédricstag eine Schweiz, die den Kapitalismus schon vor 80 Jahren per Volksabstimmung abgeschafft hat. Eine Schweiz, deren Wohlstand nun in sozialistischer Freiheit den Bach runtergeht.
Der 1946 geborene Lewinsky weiss spätestens seit seiner Zeit als Autor für die Sitcom «Fascht e Familie», wie er Lacher produzieren kann. Doch simpel kommt sein neues Werk nicht daher. In jeder Geschichte hält sich der Schriftsteller an einem Hauptstrang fest und stellt die berühmte «Was wäre wenn?»-Frage. Dabei spinnt er aktuelle Diskurse über AHV, Klimawandel, Armee oder EU weiter und spitzt diese extrem zu. Bei aller politischen Brisanz dieser Themen schafft Lewinsky vor allem eins – er unterhält. Und das kann er.
[Buch]
Charles Lewinsky
«Schweizen.
24 Zukünfte»
175 Seiten
(Nagel & Kimche 2013).
[/Buch]