Celeste Ng lässt ihr zweites Werk mit einem Flammeninferno beginnen: ein lichterloh brennendes Haus in einem beschaulichen Wohnviertel. Schnell geht das Gerücht um, Izzy Richardson, die Tochter der Hausbesitzer, habe den Brand gelegt.
Wie es zur Katastrophe kam, erzählt die US-Autorin in ihrem packenden Roman «Kleine Feuer überall». Die Konflikte schwelen als kleine Brandherde, bis sie sich zum Flammenmeer ausbreiten. Im Zentrum steht die Vorzeigefamilie Richardson: Die Lokaljournalistin Elena und ihr als Anwalt tätiger Mann haben – nebst der Rebellin Izzy – drei wohlgeratene Kinder im Teenageralter und leben im Vorort Shaker Heights. Von der Gartenbepflanzung bis zum Fassadenanstrich ist hier alles streng reglementiert.
Neue Nachbarn halten sich nicht an die Regeln
In diese vermeintliche Idylle bricht die Fotokünstlerin Mia mit ihrer Teenager-Tochter Pearl ein. Die beiden haben bislang ein Nomadenleben geführt. Nun wollen sie sich aber im Ort fest niederlassen. Schnell schliesst Pearl mit den Kindern der Richardsons Freundschaft. Izzy, die Unangepasste, findet in der Freidenkerin Mia eine Seelenverwandte.
Doch als sich Mia in einen Adoptionsstreit eines befreundeten Paars der Richardsons einmischt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Die chaotische Mia passt nicht in Elena Richardsons durchstrukturiertes Weltbild. Elena «war mit Regeln aufgewachsen und überzeugt, dass die Welt nur richtig funktionierte, wenn man diese Regeln befolgte». Sie beginnt, in Mias Vergangenheit zu wühlen, und fördert ein Geheimnis zutage. Währenddessen verpasst sie aber die Sorgen ihrer eigenen Kinder, die sich in kleine und grössere Dramen verstricken.
In ihrem Familienroman lässt Celeste Ng tief in die Seele ihrer Figuren blicken, die sie als allwissende Erzählerin begleitet: Elena, die alles im Griff zu haben scheint, aber unerfüllte Sehnsüchte mit sich trägt. Oder die selbstbewusste Mia, die ihre Freiheiten mit einem Mangel an verbindlichen Beziehungen bezahlt.
Den Kindern eine gute Mutter sein
Die beiden gehen unterschiedlich mit ihrer Mutterrolle um. Die Autorin verhandelt in ihrem Werk auch die Frage, was eine gute Mutter ausmacht – in den Augen der Teenager genauso wie in den Augen der Gesellschaft.
Die 38-jährige Schriftstellerin ist die Tochter von Einwanderern aus Hongkong. Sie ist selbst in Shaker Heights aufgewachsen – in einer vordergründig weltoffenen Gemeinschaft, in der aber etwa durch gut gemeinte Wohltätigkeit subtiler Rassismus durchscheint. Ihr Werk sei von ihren Erfahrungen geprägt, sagte sie der «NZZ am Sonntag»: «Das sind die Erfahrungen einer Frau, einer Mutter und einer Tochter chinesischer Immigranten, also einer Angehörigen einer Minderheit. Ich bin eine politische Autorin wider Willen.»
Celeste Ng lässt ihren Bestsellerroman in den 90er-Jahren spielen. In einer Zeit also, in der die Hoffnung aufschien, Geschlecht, Hautfarbe und Vermögen würden bald keine Rolle mehr spielen. Mit subtilem Witz nimmt sie diese Idealvorstellungen auseinander, die sich spätestens mit der Trump-Regierung ins Gegenteil verkehrten.
Buch
Celeste Ng
Kleine Feuer überall
Aus dem amerikanischen Englisch
von Brigitte Jakobeit 384 Seiten
(dtv 2018)