Jazz
Magische Jazzklänge aus Luzern
Keith Jarrett ist nicht nur jener geniale Improvisator, der mit seinem «Köln Concert» 1975 den Freejazz stubenrein machte. Der US-Pianist hat auch Jazz-Standards interpretiert. Etwa im Trio mit Bassist Gary Peacock und Drummer Jack DeJohnette, das vor 30 Jahren mit den Alben «Standards» Vol. 1 + 2 überrascht hatte. 20 Alben später nehmen sich die drei Freigeister erneut epochale Stücke von Miles Davis, Harold Arlan oder Leonard Bernstein vor. Sprühend vor «jugendlicher» Frische gehen sie ans Werk und laden etwa Bernsteins Westside-Story-Ohrwurm «Somewhere» zum 20-minütigen Flow von hypnotischer Wirkung auf. Diese Magie prägt die ganze Session der drei Herren, die bei der Aufnahme im Juli 2009 zwischen 64 und 74 waren. Für den Live-Mitschnitt reiste die Münchner ECM-Crew ins KKL nach Luzern. Gut möglich, dass diese Aufnahme dereinst als «Lucerne Concert» in die Jazz-Annalen eingehen wird. Frank von Niederhäusern
Keith Jarrett/Gary Peacock/Jack DeJohnette
Somewhere
(ECM 2013).
Sounds
Auf den Spuren von Janis Joplin
Als Inspirationsquellen und Vorbilder nennt Alex Hepburn die Namen Jimi Hendrix, Jeff Buckley, Etta James und Billie Holiday. Alle sind tot. Wie auch Janis Joplin, mit der die 26-jährige Engländerin bereits verglichen wird. Ein Fall von «retro»? Stilistisch darf man das sagen, aber die Sängerin und Songwriterin hat ihre Musik im
21. Jahrhundert geschrieben. Zwölf davon findet man auf ihrem aussergewöhnlichen Debütalbum «Together Alone». «Miss Misery», «Bad Girl», «Broken Record», «Pain Is»: Die Titel der ersten vier Albumsongs geben die Richtung an. Da wird Trauriges verhandelt mit tüchtigem vokalem Ausdruck. Zwischen Soul, Blues und Rock bewegt sich die Musik, in die Alex Hepburn einige Emotionen legt. Dabei kommt ihre «gebrochene» Stimme mit dem heiseren, rauen Timbre passend zur Geltung. Alex Hepburn – eine Newcomerin, die es in hohen Tönen zu preisen gilt.
Urs Hangartner
Alex Hepburn
Together Alone
(Warner 2013).
Klassik
Klanghumor
Eine Trompete und ein Kontrabass? Diese Paarung klingt monochrom. Doch die beiden Österreicher Thomas Gansch (Trompete) und Georg Breinschmid (Kontrabass) haben die schnellsten Finger, die süffigsten Melodien und den schrägsten Humor. Wenns etwa um das fade Leben eines Musikers im Orchestergraben geht. Zum Abschied näselt der ehemalige Philharmoniker Breinschmid keck: «Die Wiener Philharmoniker und ich wünschen Ihnen – Profit Neujahr.» Gabriela Kaegi, SRF 2 Kultur
Gansch & Breinschmid
Live
(Preiser Records 2013).
5/5
SCHUMANNS TÖCHTER
Kinderstücke durchziehen das Œuvre von Robert Schumann wie ein roter Faden. Widmungen wie «Wiegenlied für Marie zu Weihnachten» oder «Für Elise, geboren am 25. April 1843» sind Ausdruck des glücklichen Vaters. Der Pianist Florian Uhlig hat diesem rührenden Aspekt des Komponisten seine Gesamtausgabe der Klavierwerke gewidmet und beleuchtet damit eine glückliche, aber häufig vergessene Seite aus der Biografie des Komponisten.
André Scheurer, Radio Swiss Classic
Florian Uhlig
Robert Schumann und seine Töchter
(Hänssler Classic 2013).
4/5
Jazz
Erkundungstouren
Das täglich Unbekannte verheisst Abwechslung, Spannung und Herausforderung. Das Augur Ensemble zelebriert dies auf seiner entsprechend betitelten CD in gewagten musikalischen Erkundungstouren. Die sechs Musiker aus Schweden, Norwegen und der Schweiz suchen nach einer Kammermusik, die neue Wege einschlägt und störende Gräben zuschüttet. Das klingt abenteuerlich, zuweilen frappant anders. Aber aufregend spannend und höchst bereichernd.
Frank von Niederhäusern
Augur Ensemble
The Daily Unknown (Bottom/Eclipse 2013).
5/5
ÜBERLANDSURFER
Der US-amerikanische Gitarrist Bill Frisell beherrscht das Surfen perfekt, also das elegante Gleiten auf und zwischen Wellen. Das zeigt er jetzt wieder mit seinem Big Sur Quintet, einer Multifunktionskapelle mit Gitarre, Schlagzeug und einem klassischen Streichtrio. Der Schlagzeuger ist auch ein Klangmaler, und die Streicher wissen, was Groove ist. Frisell selbst tänzelt und surft mühelos zwischen Jazz, Klassik, Rock und Country.
Peter Bürli, SRF 2 Kultur
Bill Frisell
Big Sur
(Okeh 2013).
5/5
Sounds
DUNKLE ELEGANZ
Tricky läuft auf seinem zehntem Album zur alten Grösse auf, beinahe 20 Jahre nach seinem wegweisenden Erfolg mit Massive Attack. Der Trip-Hop-Pionier spielt seine alten Stärken aus: Minimalistisches Produktions-Understatement zwischen Schönheit und spannungsgeladener Intensität. Neben chromatischen Farben wie Funk und Disco sind die bekannt düsteren Grooves zu hören, die der Altmeister mit Soul zu zeitloser Eleganz zu verbinden weiss.
Silvio Biasotto
Tricky
False Idols
(!K7/Namskeio 2013).
4/5
GEGENSÄTZE ALS VORTEIL
Er ist Ende 20 und arbeitet als Türsteher eines Zürcher Szene-Clubs. Optisch erinnert er an einen Teddy-Bären mit psychischen Problemen. Genau so gegensätzlich klingt das Debütalbum. Protzige Hip-Hop-Attitüde trifft auf eine im Rap selten gehörte Ehrlichkeit. Direkte Beats treffen auf Zerbrechlichkeit. Die Songs geben einen unverfälschten Einblick ins Innerste von Skor und katapultieren den Zuhörer ins Universum eines ungewöhnlichen Menschen. Gute Reise!
Ivo Amarilli, SRF Virus
Skor
Und Nachteil
(Bakara Records 2013).
4/5
World
Kein Entkommen
Ein Casio-Keyboard quietscht und zerrt, darüber kullert die Perkussion. Bässe blubbern. Und der MC spricht, rappt und singt gehetzt über das Leben und Überleben in Dar-es-Salaam. Aus der Dreimillionenstadt in Tansania kommen die acht Musiker von Jagwa Music. Die Musik ist traditionell und schnell, sie ist lustig und zapplig. Minimal Trance, man könnte es auch Cheap African Disco oder New Urban Highlife nennen – Musik, aus der es kein Entkommen gibt.
Christoph Fellmann
Jagwa Music
Bongo Hotheads
(Crammed Discs 2013).
4/5
Erfrischende Mischung
Der Album-Name sagt alles: «Ich brauche einen Mixer». Und so mischt die brasilianische Band lustvoll Samba-Rhythmen, brasilianischen Pop und Funk – ganz im Geist der Tropicália-Bewegung aus den 60ern. Sie erinnern an die Tribalistas um Marisa Monte, dem Aushängeschild der zeitgenössischen Música Popular Brasileira. Zwar können Graveola dieser Band nicht ganz das Wasser reichen. Aber sie produzieren einen erfrischend aussergewöhnlich originellen Sound.
Claudine Gaibrois
Graveola
Eu preciso de um liquidificador
(Mais um Discos 2013).
4/5