Jazz
An stilistische Dogmen halten sich junge Jazzer kaum mehr. Angesagt sind Sound-Fusionen, die mal mehr, mal weniger Sinn machen. Geradezu sinnlich in ihrer flotten Frische ist die unerhörte Mixtur des Quintetts ACV um Bassist Andy Champion aus Newcastle. Die agile Band mischt wild-rumpelnden Improjazz mit rassigem Swing und Funk sowie – rotzig-deftigem Prog-Rock! Das Ganze geschüttelt, nicht gerührt, sodass dieser Blend geradewegs in Bauch und Beine fährt. Gehört hat man solche Musik ansatzweise bei der norwegischen Freaktruppe Jaga Jazzist, von John Luries Punkjazz-Band Lounge Lizards oder in Instrumentalstücken von Frank Zappas letzten Bands. In der Vielzahl und Breite der übersprungenen stilistischen Gräben steht ACV gerade Zappa in nichts nach. Mit dem Album «Busk» ist dem Londoner Indie-Jazz-Label «Babel» ein Coup gelungen. Frank von Niederhäusern
ACV
Busk
(Babel 2013).
Sounds
Schönes Schwanengesang
Ende letzten Jahres kam die Absage von John Paul White (40), der zusammen mit Joy Williams (30) das gefeierte und preisgekrönte Neo-Folk-Duo The Civil Wars bildet. Die angekündigte Tour werde nicht durchgeführt wegen «interner Zwietracht und unüberbrückbarer Differenzen». Was bedeutete das? Nur eine Pause oder definitives Aus für die Grammy-Preisträger von 2012? Und Überraschung: Es gibt ein neues Album. Es könnte das letzte sein. Demnach dürfte das zweite aktuelle Album «The Civil Wars» zum schönen Schwanengesang werden. Denn die Songs überzeugen nach wie vor. Auch wenn es mit dem früheren Harmoniegesang nicht mehr weit her ist. Vielmehr scheint es, der eine singe jeweils abwechselnd beim anderen die Hintergrundstimme. Und man meint, die Spannungen aus den Songs herauszuhören. Das tut dem Ganzen glücklicherweise keinen Abbruch.
Urs Hangartner
The Civil Wars
The Civil Wars
(Sony 2013).
Klassik
Künstler-Porträt
Grosse Ehre für David Philip Hefti: Der 38-jährige Komponist aus St. Gallen hat kürzlich den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung erhalten. Dazu gehört eine CD-Edition mit aktuellen Werken. Sie porträtiert den Tonsetzer und Meister der leisen, komplexen Klangtexturen mit Einspielungen neuer Werke wie «Moments lucides» oder «Changements». Für die Aufnahmen dirigierte Hefti namhafte Orchester in Frankfurt am Main, Berlin und Wien.
Frank von Niederhäusern
David Philip Hefti
Changements
(Col legno 2013).
5/5
Cello-Trouvaillen
Der fränkische Graf Erwein von Schönborn hat auf seinen Italienreisen um 1700 eine einmalige Sammlung von Kompositionen des italienischen Hochbarock zusammengetragen. Diese Manuskripte schlummerten während 300 Jahren in einem Notenschrank, bis sie der in Basel tätige Cellist Christoph Dangel durchforschte und dabei einige Trouvaillen fand. «Viaggio Italiano» wird zur Entdeckungsreise für Liebhaber barocker Celloklänge.
André Scheurer, Radio Swiss Classic
Christoph Dangel
Viaggio Italiano
(Deutsche Harmonia Mundi 2013).
4/5
Jazz
Im Gleichgewicht
Das Quartett des Kölner Posaunisten Klaus Heidenreich agiert auf seinem zweiten Album mit seiltänzerischer Sicherheit. Nicht nur das Titelstück «Man On Wire» klingt atemberaubend routiniert. Heidenreich versteht es als Instrumentalist wie Komponist, bekannte Stücke mit überraschenden Soundmustern zu kombinieren. Da trifft groovy Hardbop auf sirrende Fusion- und Free-Passagen – stets im Gleichgewicht, was diese Musik so interessant macht. Frank von Niederhäusern
Klaus Heidenreich Quartett
Man On Wire
(Unit Records 2013).
4/5
Gut gelaunt
Was für ein Gesamtpaket: Groovendes Gitarrenspiel, samtweicher Gesang und das sichere Auftreten eines jungen Schönlings. Kein Wunder, geht es steil bergan mit der Karriere des irisch-deutschen Musikers Torsten Goods. «Love Comes To Town» heisst sein drittes Album beim Münchner Label ACT. Und es erreicht sein Publikum genau im richtigen Moment. Goods zeigt eingängigen Jazzpop, der sich bestens in den Spätsommer schmiegt.
Annina Salis, SRF 2 Kultur
Torsten Goods
Love Comes To Town
(ACT 2013).
4/5
Sounds
Gewaltige Sensibilität
Julia Holter vermag wie nur wenige andere, Sensibilität in die Popmusik zu packen. Jeder ihrer Songs ist eine mehrteilige Geschichte. Inspiriert von der Verfilmung von Colettes Novelle «Gigi», spannt die US-Sängerin auf ihrem dritten Album einen weiten Bogen von (Free-)Jazz und Kammerpop bis zu schwebenden Balladen. Episch, dramatisch, mit fragilen Momenten und viel Raum für Nachdenklichkeit. Ein einnehmendes und soundgewaltiges Epos. Silvio Biasotto
Julia Holter
Loud City Songs
(Domino 2013).
5/5
Harmonisches Duett
Zu einem flirrenden Störgeräusch gesellen sich akustische Gitarre, Drums und Piano. Dazu die Stimmen von Mike Lindsay und Ashley Bates, die sich zum harmonischen Duett fügen. Wenn sich noch eine feine Synthesizer-Melodie einschleicht, wird klar, wieso man den Sound der fünf Briten als Folktronica bezeichnet. Eine bestechende und warme Kombination aus akustischen und elektronischen Elementen, gewürzt mit der richtigen Prise Pop. Jonas Frehner
Tunng
Turbines
(Full Time Hobby 2013).
4/5
World
Mexikanischer Gout
Seit Jahren erweitert Bill Frisell die US-Folkmusik zu impressionistischen Panoramen. Dabei kommt der Gitarrist dem, was man Americana nennt, so nahe wie sonst kaum einer. Auf «Big Sur» erkundet er einen der amerikanischen Sehnsuchtsorte schlechthin: Den kalifornischen Süden. Mit Eyvind Kang (Viola), Hank Roberts (Cello), Jenny Scheinman (Geige) und Rudy Royston (Drums) gelingt eine entrückte Folklandschaft von herbem mexikanischem Gout. Christoph Fellmann
Bill Frisell
Big Sur
(Okeh/Sony 2013).
5/5
Verdiente Hommage
Maria Tanase war die grosse weibliche Stimme im Bukarest der 30er-Jahre, das als «Paris des Ostens» galt. Wie Edith Piaf bezauberte sie ihr Publikum mit wehmütigen Chansons. Doch im Ausland blieb sie weitgehend unbekannt. Oana Catalina Chitu widmet Tanase zum 100. Geburtstag nun eine verdiente Hommage. Mit ihrem ausgezeichneten Ensemble haucht Chitu den von Tango, orientalischen Harmonien und Gypsy-Rhythmen geprägten Liedern neues
Leben ein. Claudine Gaibrois
Oana Catalina Chitu
Divine
(Asphalt Tango 2013).
4/5