Klassik
Göttlicher Musikwettstreit
Bei königlichen Hochzeiten wurde musikalisch immer gerne opulent aufgetragen. Doch was sich Johann David Heinichen (1683–1729) einfallen liess, als er 1719 mit einer Komposition zur Hochzeit von Maria Josepha von Österreich und Friedrich August II. von Sachsen beauftragt wurde, überstieg herkömmliche Jubelmusik bei Weitem. Heinichen inszenierte den ehelichen Bund zwischen Österreich und Sachsen als Gegenstand eines Wettstreits zwischen sieben Göttern. Hartmut Haenchen und sein Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach haben diese lange vergessene Trouvaille nun musikalisch rekonstruiert und erstmals auf CD herausgegeben. Haenchen hält Musiker wie Sänger zu hoher Präzision und einer äusserst kontrollierten Klanggebung an. Eine feierliche Restnote behält der Live-Mitschnitt von 2003 glücklicherweise bei. Fritz Trümpi
J.D. Heinichen
La Gara Degli Dei
(Berlin Classics 2013).
Sounds
Lustiges der Entlebucher Art
Aus «Sheena Is A Punk Rocker» (The Ramones) wird «em Schiin aa ischs vom Vehtokter» (Thema Vaterschaft). Oder ganz handgreiflich: «Tätschalätsch!» ist die Neufassung des AC/DC-Krachers «Touch Too Much». In «Wanderer», original unter anderem bekannt durch Dion oder Gary Glitter, heisst es: «Im Tobel hani e Tubel gfonde med Wanderstäcke, d Stäcke hani hei gnoh ond de Tubel liit no donde».
Es sind bekannte Titel aus der Rockgeschichte, die sich die Friedli & Fränz Kilbimusig vornimmt. Es tönt in ihren Mundartfassungen zwar lautähnlich, alles ist aber auf Entlebucher Zustände gemünzt. Daraus ziehen diese neuen Songgeschichten im meist satten Hardrockkleid ihre umwerfende Komik. Der eigene Anspruch der Band ist bescheiden. Sie seien nur eine «Tanz- und Unterhaltungskapelle». In Tat und Wahrheit sind sie verteufelt raffiniert – und total lustig. Urs Hangartner
Friedli &
Fränz Kilbimusig
Disgo
(Träsch & Tubak/
Soundservice 2013).
Klassik
Brittens Hölderlin
Hölderlin-Vertonungen haben die Tendenz, sich im Anspruch am Text zu messen. Mit dem Resultat, dass sie zu überkomplexer Musik aus dem (Elfenbein-)Turm führen. Anders Benjamin Britten. Seine Hölderlin-Fragmente leben von der Einfachheit: Dreiklänge, ein Kanon, Schönheit. Dem Gedicht «Lebenslinien» entsprechen simple musikalische Linien. Und sie leben von Ian Bostridges klar geführter Stimme und seinem fast makellosen Deutsch.
Benjamin Herzog, SRF 2 Kultur
Benjamin Britten
Songs
(EMI 2013).
4/5
Ausbalanciert
Viele Solisten betonen immer, wie schön es sei, Kammermusik zu spielen. Aber nur selten beweisen sie das auch auf CDs. Eine Ausnahme ist Janine Jansen zusammen mit versierten Musikerfreunden. Sie zeigt mit Schönbergs spätromantisch schwelgendem Streichsextett «Verklärte Nacht» und dem berühmten Schubert-Quintett, dass man für musikalisch bezwingende und klanglich ausbalancierte Resultate nicht jahrelang zusammen spielen muss.
Reinmar Wagner
Schubert/Schönberg
Streichquintett C-Dur/
Verklärte Nacht
(Decca 2013).
4/5
Jazz
Musikalische Aquarelle
Die Berner Sängerin Susanne Abbuehl vertonte Texte von Emily Brontë oder James Joyce. Nun sind es solche der US-Amerikanerin Emily Dickinson. Abbuehls Zugang zu deren fragilen Miniaturen ist ein respektvoller – mit schwebenden musikalischen Gebilden. Pianist Wolfert Brederode spürt instinktiv, welche Farbtupfer es braucht, und Flügelhornspieler Matthieu Michel aus Fribourg fliegt vogelgleich über die musikalischen Aquarelle. Beat Blaser, Redaktor Jazz SRF 2
Susanne Abbuehl
The Gift
(ECM 2013).
5/5
Vielfältig wuchernd
Als Drummer des Trios Schnellertollermeier beweist David Meier einen erfrischend kreativen Umgang mit Rhythmen. Nun zeigt der Luzerner, dass er auch mit Harmonien zu jonglieren weiss. Sein Debüt als komponierender Bandleader erfordert Hörarbeit: Meiers auserlesen besetztes Quintett führt durch einen vielfältig wuchernden Klangwald mit kratzigem Dickicht und beengendem Unterholz, mit zarten Moosmatten und lauschigen Lichtungen.
Frank von Niederhäusern
David Meier’s
Hunter-Gatherer
(Wide Ear Records 2013).
4/5
Sounds
Zeitreise
Unglaublich – die vier Boys der irischen Band The Strypes sind noch keine 18, machen aber alles richtig. Frisuren, Kleidung, Stil, Musik – perfekt. Nach einer ersten Einspielung mit Coverversionen ist jetzt ihre erste Single mit eigenem Material erschienen. Auch damit lassen sie die 60er-Jahre aufleben. Kinks, Animals oder Yardbirds und deren Art, die schwarzen Vorbilder nachzuspielen, werden mit Schwung und jugendlichem Übermut in die Gegenwart transportiert. Christoph Alispach, SRF 3
The Strypes
Blue Collar Jane
(Mercury 2013).
5/5
Organische Grooves
Die neuen Songs des Zürcher DJs Kalabrese stehen nur noch mit einem Tanzbein auf dem Dancefloor. Der Akzent liegt vielmehr auf erdigem Blues und Funk, auf countryesken Slidegitarren, auf Afro- und Bossarhythmen und kernigem Discogroove. Zu den handgespielten, metrischen Beats erklingen auch ein Cello oder Alpenglocken. Organisch und warm erinnern die unprätentiösen Grooves in ihren besten Momenten gar an den New Yorker Disco-Visionären Arthur Russell. Silvio Biasotto
Kalabrese
Independent Dancer
(Rumpelmusig/TBA 2013).
4/5
World
Aus der Baracke
Das Zürcher Trio Zugluft zelebriert eine eigene Spielart der «folklore imaginaire». Höchst lustvoll zerlegt es mit Geige, Akkordeon und Klarinetten Volksmusiken aus ganz Europa und setzt die Bruchstücke auf neue Weise zusammen. Das klingt überraschend, zuweilen auch überrumpelnd, aber immer unterhaltsam. In ihrer Übungsbaracke mitten in Zürich haben die drei Tüftler neue Stücke erschaffen, die sie nun auf ihrer vierten CD vorlegen. Frank von Niederhäusern
Zugluft
Barackenmusik
(Narrenschiff 2013).
4/5
Occitan-Blues
Eine Welt für sich, irgendwo am Mittelmeer, zeichnet Tatou alias Moussu T mit seinen drei «Jungs» (Jovents). Der Bandleader lebt in Marseille als Mitglied von Massilia Sound System und tut sich dort mit Leuten aus Brasilien zusammen. Gitarrist Blu wäre alleine schon eine Band wert. Zusammen mit Blu variiert Moussu T zwischen Blues, Chanson, Hip-Hop, Rock und französischer Folklore. Und jeder seiner Songs ist ein Juwel aktueller Lyrik. Marianne Berna, SRF 3
Moussu T e lei Jovents
Artemis
(Manivette Records/Harmonia Mundi 2013).
4/5