Jazz
Den Schlaf im Ohr
Wer oft träumt, kennt den absurden Zauber nächtlicher Parallelwelten. Der Berner Schlagzeuger Manuel Pasquinelli hat sich während Jahren von durchwanderten Traumbildern zu Kompositionen inspirieren lassen. Diese montiert er nun zu einer Suite, mit der er eine durchschlafene Nacht nachzeichnet. Dabei folgen sich verschiedene Ruhephasen vom sanften Wegdösen und Einschlafen über erste holprige Traumpfade und rutschige Irrgärten bis hin zu den bedrohlichen Vexierbildern des Tiefschlafes und dem abrupten Erwachen. Mit traumwandlerischer Sicherheit schafft Pasquinellis Quintett Effekte von verblüffender Stimmigkeit. Es verschlauft seine Sounds zu Minimal-Loops, die es moduliert, durchbricht und von sphärischen Klangwolken zu vertrackt-schrägen Rhythmuskaskaden changiert. Traumhaft!
Frank von Niederhäusern
Akku Quintet:
Stages Of Sleep
(Morpheus Records 2013).
World
Unakademische Volksmusik
Seit 2006 gibt es an der «Hochschule Luzern – Musik» den Studienschwerpunkt Volksmusik. Dort können die Studierenden ihr Können seit vier Jahren im schuleigenen Instrumentalensemble namens Alpini Vernähmlassig praktisch erproben. Das Debütalbum des Ensembles belegt, wie lebendig und abwechslungsreich da musiziert wird. Es fängt an mit einer Komposition von Ensemble-Leiter Markus Flückiger. Der Titel: «Rämdädämdädämdämdäm». Andere Stücke stammen aus der Feder von Mitgliedern des aktuell zehnköpfigen Ensembles, aus der Sammlung Hanny Christen oder aus dem russischen (!) Volksliederschatz. Den Abschluss macht ein Stück von Marcel Oetiker, dem allerersten Schwyzerörgeler mit dem Grad eines Bachelor of Arts in Music.
Der erfreuliche Befund beim Anhören des Albums: Diese «studierte» Volksmusik tönt gänzlich unakademisch. Urs Hangartner
Alpini Vernähmlassig
Alpini Vernähmlassig 2013
(Hochschule Luzern – Musik/Phono-Vertrieb Dallenwil 2013).
Klassik
Glühende Leidenschaft
Von der Magie der Natur und der Kunst, aber auch von menschlicher Solidarität in Zeiten äusserster Bedrängnis spricht der kürzlich verstorbene Franzose Henri Dutilleux in seinem Spätwerk «Correspondances». Er tut dies mit warmem Klang, Zärtlichkeit und glühender Leidenschaft. Und er findet hier die idealen Interpreten mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen und der Sängerin Barbara Hannigan.
Thomas Meyer, SRF 2 Kultur
Henri Dutilleux
Correspondances
(Deutsche Grammophon 2013).
5/5
Kühl-elegant
Igor Strawinsky hat nicht nur den «Sacre du printemps» geschrieben: Zu seinen weniger bekannten, aber nicht weniger attraktiven Werken zählen die drei Klavierkonzerte.
Zwei davon schrieb Strawinsky (1882–1971) in den 20er-Jahren im Stil eines kühl-eleganten Neoklassizismus. Nebst knackigen Rhythmen findet Pianist Steven Osborne eine Vielzahl von delikaten Farben. Das BBC Scottish Symphony Orchestra unter Ilan Volkov begleitet ihn.
Roland Wächter, SRF 2 Kultur
Igor Strawinsky
Klavierkonzerte
(Hyperion 2013).
4/5
Jazz
Wache Saiten
Mary Halvorson ist die angesagte Gitarristin der New York Downtown-Szene. Stephan Crump ist bekannt als Bassist von Vijay Iyer. Auf ihrem Duo-Album entspannt sich ein engagierter Dialog zwischen warm und sanft verdreht, der ganz und gar improvisiert ist. Die Stücke haben Skizzen-Charakter, der Gestus ist vorsichtig und konzentriert. Bei aller kammermusikalischen Intimität lässt die Musik auch ihre Kanten und Reibungen hören. Und macht hellwach.
Pirmin Bossart
Stephan Crump –
Mary Halvorson
Super Eight
(Intakt Records 2013).
4/5
Im Spiegelkabinett
Hapax nennt man ein Wort, das nur einmal in einem Text vorkommt. Fanny Anderegg sucht auf ihrer neuen CD eine musikalische Annäherung dazu. Dabei spielt die Bielerin mit Spiegelungen in Text und Musik. Das Konzept macht
die Stücke aber keineswegs sperrig: Jedes leuchtet für sich in seiner eigenen, behutsam geschaffenen Welt. «Hapax» zeigt die Sängerin im Cocon ihres Quartetts, erweitert um Cello, Posaune und Perkussion. Mit meditativer Note. Annina Salis, SRF 2 Kultur
Fanny Anderegg
Hapax
(Eigenvertrieb 2013).
4/5
Sounds
Schöne Souvenirs
Scott Matthew aus New York schmückt sich auf seinem vierten Album mit fremden Federn: Er präsentiert 14 musikalische Souvenirs aus Kindheit und Jugend – Songs, die er sich auf seine ureigene Art aneignet. Mit unverwechselbarer Stimme, oft schlagzeugfrei, mit Ukulele und Gästen. Es ist wunderbar geworden, was er von liebgewonnenen Fremden spielt wie Bee Gees, Kris Kristofferson, Radiohead, Neil Young, John Denver – Interpretationen von verhaltener Schönheit. Urs Hangartner
Scott Matthew
Unlearned
(Glitterhouse/Irascible 2013).
4/5
Sommersound
Der grosse Regen ist vorbei – nun kann der Sommer kommen! Dazu gehört der richtige Soundtrack. Ruban Nielson, der Kopf hinter dem Psychedelic-Pop-Trio Unknown Mortal Orchestra, versteht es fabelhaft, mit seinen zurückhaltenden und doch eingängigen Stücken Sommergefühle herauszukitzeln. Er trimmte mit alten Effektgeräten Gitarrenriffs auf 60er. Dazu kommen Nielsons zarte Stimme und melodiöse Refrains, um die musikalische Zeitreise abzurunden. Jonas Frehner
Unknown Mortal Orchestra
II
(Jagjaguwar 2013).
4/5
World
Hendrix aus der Wüste
Der Wüsten-Blues der Tuareg ist vor allem durch die Gruppe Tinariwen aus dem Norden Malis bekannt geworden. Auch im benachbarten Niger kämpft dieses Volk um seine politische und kulturelle Eigenständigkeit. Von dort stammt Gitarrist Omara Moctar, besser bekannt als Bombino. Sein drittes Album «Nomad» hat er mit US-Blues-Rocker Dan Auerbach (Black Keys) aufgenommen. Es dürfte Bombino definitiv als veritablen Hendrix der Sahara etablieren. Martin Schäfer, SRF 3
Bombino
Nomad
(Nonsuch 2013).
4/5
Leichte Saiten
Yang Jing spielte in China mit ihren Saiteninstrumenten Pipa und Guqin auf grossen Konzertbühnen. Heute lebt sie in Aarburg und experimentiert mit Jazz und zeitgenössischer Musik. Ihre neueste CD «No.9» hat sie mit dem Schweizer E-Gitarristen Christy Doran aufgenommen. Die beiden Musiker entlocken ihren Instrumenten eine breite Palette von Klangfarben, Skalen und Soundeffekten. Sechs Eigenkompositionen, gespielt mit traumwandlerischer Leichtigkeit. Thomas Burkhalter
Yang Jing & Christy Doran
No.9
(Leo Records 2013).
4/5