Klassik
Allerlei leichte Lustbarkeiten
Ein ganzes Album mit Operetten-Arien? Sowas muss ein Tenor, der in Salzburg die Titelrolle in Puccinis «La Bohème» singt, zuerst einmal wagen. Früher waren solcherlei leichte Lustbarkeiten normal. Richard Tauber, der Widmungsträger dieser CD, wurde damit weltberühmt und steinreich. Die Trauben Taubers hängen hoch, doch Piotr Beczala meistert bei seiner Debüt-CD für die Deutsche Grammophon die altbekannten Arien bestens. Ob «Dein ist mein ganzes Herz» oder «Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n»: Er vertraut seinem wunderschönen Timbre, seiner klugen Stimmgebung und seiner famosen Technik. Der Pole übertreibt nie und ironisiert nicht, sondern singt die Arien, als wären es Schubert-Lieder. Nette Zugaben: Bei «Lippen schweigen» wirkt Anna Netrebko mit, bei «Du bist die Welt für mich» gar Übervater Richard Tauber selbst. Christian Berzins
Piotr Beczala
Mein ganzes Herz.
Richard Taubers grösste Erfolge
(Deutsche Grammophon 2013).
World
Wieder tolle Töne vom Chiemsee
Die fünf von LaBrassBanda vom bayerischen Chiemsee haben auch auf ihrem dritten Tonträger «Europa» wieder Weltmusik im Sinn. Es ist internationale Volksmusik ohne Scheuklappen und ohne Angst vor Grenzüberschreitungen. Das Setting ist gewohnt, mit Gebläse (Trompete, Tuba, Posaune) und Rhythmus (Bass, Schlagzeug), dazu der Gesang von Trompeter Stefan Dettl. Plus: In ihrer Experimentierfreude hat die tolle Truppe vom bisher «Handgemachten» vereinzelt zu Elektro-Klängen und Synthie-Sounds gefunden. Wenn es nicht gerade die getragene «Hymne» ist, dann gehen LaBrassBanda forsch und frisch und fröhlich voran mit ihrer umwerfenden Neuen Volksmusik, die spielend nach Balkanbeat Tönendes mit Ska und «Techno» verbindet. Das eine oder andere Stück steht gar deutlich in Hitverdacht und dürfte Radiotauglichkeit beweisen. Urs Hangartner
Klassik
Ureigene Stimmung
Es soll die ganze Bandbreite der Klarinette zur Geltung kommen, sagt Andreas Ottensamer über seine neue CD. Von George Gershwin, Aaron Copland über Amy Beach und Claude Debussy reicht der Bogen bis zu Domenico Cimarosa und Louis Spohr. So weit,so interessant. Der junge Klarinettist vermag jedoch jedem Werk eine ureigene Stimmung zu verleihen, was auf sein hohes Einfühlungsvermögen und seine perfekte Instrumentenbeherrschung verweist – grosse Kunst. Fritz Trümpi
Andreas Ottensamer
Portraits
(Deutsche Grammophon 2013).
5/5
Gutes aus Ungarn
Wohl wenige schauen zurzeit gern nach Ungarn, der Politik wegen. Dabei ist das Land eine Kulturnation mit grosser Tradition, wie Accentus Austria exemplarisch aufzeigt. Das Wiener Ensemble für alte Musik hat tief in Bibliotheken gegraben und sich Volksmusiker auf Geige, Zymbal, Oud und Perkussion ins Boot geholt. Das Resultat: Ein Mix aus frühbarocken Suiten und traditionellen transsylvanischen Liedern und Tänzen, klingt aufregend und wild. Lislot Frei, SRF 2 Kultur
Accentus Austria
Serenata Hungarica
(DHM 2012).
4/5
Jazz
Frisch und unverblümt
Rasant und rau steigt dieses Trio in seine Stücke. Man spürt eine gute Dosis Berliner Szene. Das kommt frisch und unverblümt und hat eine klare Form. Man hört ein klassisches Jazz-Trio, das sich auf kürzere Stücke beschränkt und den melodiösen Ansatz liebt. Bassist Petter Eldh und Drummer Christian Lillinger machen Druck, und Saxofonist Wanja Slavin – eine Entdeckung – zeigt quer durch das Spektrum, was für ein virtuoser Instrumentalist er ist. Pirmin Bossart
Slavin–Eldh–Lillinger
Starlight
(Unit Records 2013).
4/5
Schmelzprozesse
Feinfühlig und resolut variiert das Trio der Zürcher Pianistin Gabriela Friedli verschiedene Grade und Stadien der Verschmelzung von ausgedachtem Material und Spontanerfindung. So verpassen Friedli, Bassist Daniel Studer und Drummer Dieter Ulrich der free-jazz-artigen Intensität in jedem Stück einen anderen Fokus – und absorbieren stilistische Elemente von Bud Powell bis Paul Bley und moderner Klassik. Keine leichte Kost zwar, aber schmackhaft.
Jürg Solothurnmann
Gabriela Friedli Trio
Started
(Intakt Records 2013).
4/5
Sounds
UNAUFGEREGT SOLID
Dylans «Tempest» hat Lloyd Cole (52) dazu inspiriert, wieder Songs für ein Album zu schreiben. «Standards» reiht sich bestens ein in sein solid-unaufgeregtes Songwriting. Eine rockige Pop-Platte, vielleicht die beste seit dem überragenden Debüt «Rattlesnake», das der Engländer 1984 mit den Commotions aufnahm. Gewählt hat Cole hier «eine bewusst kleine Palette an Sounds». So tönts schön dicht mit dezenten E-Gitarren, angenehm altersmelancholisch. Urs Hangartner
Lloyd Cole
Standards
(Tapete/Irascible 2013).
4/5
Erschütternd
Es gibt weder Videoclips noch eine Single-Auskoppelung: Das neue Album «Yeezus» des US-Erfolgsrappers Kanye West hat nicht einmal eine richtige Hülle. Radikal ist auch die Musik: Fragmentarisch karg sind die Sounds, mit denen West seine zornigen Reime über Verrat, Grössenwahnsinn und Konsum unterlegt. Als Hip-Hop lässt sich diese Musik kaum noch bezeichnen. West will sein Publikum offenbar erschüttern und zugleich begeistern. Beides ist ihm gelungen. Nick Joyce
Kanye West
Yeezus
(Universal 2013).
3/5
World
Arabischer Elektro-Pop
Mit ihrem Duo Soap Kills begründete sie 1997 in Beirut den alternativen arabischen Elektro-Pop. Heute lebt Yasmine Hamdan in Paris und setzt bekannte arabische Lieder der 1940er- bis 1980er-Jahre neu um. Dies mit dem französischen Produzenten Marc Collin, dem Mitbegründer der Band Nouvelle Vague. Ihre zerbrechlich sinnliche Stimme, die minimale Elektronika und die Easy-Listening-Klänge bringen Hamdan beides: Viele Fans und Kritiker.
Thomas Burkhalter
Yasmine Hamdan
Ya Nass
(Crammed Disc 2013).
4/5
Belebter Afrojazz
Mory Kante und Manu Dibango haben vorgemacht, wie Afrobeats und Jazzfunkriffs effektvoll zusammenspielen. In deren Tradition arbeitet der Perkussionist und Sänger Biboul Darouiche (50). Der Kameruner lebt heute in Europa und bewegt sich in Jazzkreisen. Auf «Soleil Bantu» erzählt er seine Lebensgeschichte in Form hymnisch-melodiöser, fett rhythmisierter Afrosongs. Nebst Englisch und Französisch singt er auch in seiner Muttersprache Ewondo.
Frank von Niederhäusern
Soleil Bantu
Message From The Trees
(Unit Records 2013).
4/5