Klassik
Abbados Einstimmung zum Lucerne Festival
Am 16. August wird Claudio Abbado im KKL zur Eröffnung des 75. Lucerne Festival das Luzerner Festspielorchester (LFO) dirigieren. Wer nicht warten kann, greife zu seiner neuen CD mit Werken von Robert Schumann. Sie wurde im November in Wien live aufgenommen; der Italiener hat damals sein Bologneser Orchestra Mozart dirigiert – mit Musikern, die sich im LFO wiedertreffen. Abbados Geist durchschwebt in der 2. Sinfonie jede Fermate, jeden Auftakt, jeden Jubelschrei. Das Herantasten an Schumanns Welt gelingt sanft und unaufdringlich, die Steigerungen sind mit unheimlicher Spannung geladen. Kein Wunder, jubelt kaum ein anderes Orchester so freudig, aber eben auch packend harsch und abgründig. Als angenehme Zugabe gibt es zwei herrliche Schumann-Ouvertüren zu hören.
Christian Berzins
Robert Schumann
Sinfonie Nr. 2,
Ouvertüren
«Manfred» und «Genoveva»
(DG 2013).
Jazz
Geschichte des Jazz-Schlagzeugs in neun Wirbeln
Solo-Programme von Jazz-Schlagzeugern gibt es erst seit rund 40 Jahren. Möglich gemacht haben dies hellhörige Trommler wie Pierre Favre oder Günter Sommer, die ihre Becken, Toms und Gongs zum Singen bringen. Sommer, der von Dresden aus lange vor dem Mauerfall den europäischen Jazz mitrevolutionierte, macht auf seiner neuen Solo-CD den Einfluss des Schweizers Favre hörbar. Mehr noch: Er bringt seine acht wichtigsten Inspiratoren ins Spiel. «Dedications» zeigt, wie deren Eigenheiten und epochale Leistungen sich in der vielgestaltigen Klangkunst des Günter Baby Sommer bündeln. An seinen «Namensgeber» Baby Dodds aus New Orleans erinnert Sommer ebenso wie an Hard-Bop-Drummer Art Blakey oder seinen Freejazz-Kumpanen Paul Lovens. Günter Sommer wird Ende August 70 und schenkt seinem Publikum die Klanggeschichte seines Lebens, die sich mit jener des Jazz-Schlagzeugs weitgehend deckt. Frank von Niederhäusern
Günter Baby Sommer
Dedications
(Intakt Records 2013).
Klassik
Vollständig im Fluss
«Œuvres complètes» steht auf der Vorderseite, «Work in Progress» auf der Rückseite der CD-Box. Ein nur scheinbarer Widerspruch für den 88-jährigen Komponisten Pierre Boulez. Als Komponist, Dirigent und Initiator ein Monument in der Kulturlandschaft, hat er auf elf CDs die mustergültigen Aufnahmen seiner Werke zusammengestellt. Hinzugefügt hat er eine zwölfte CD mit alten Interpretationen, und auf der dreizehnten gibt er beredt Auskunft über sein Schaffen.
Thomas Meyer
Pierre Boulez
Œuvres complètes
(DGG 2013).
5/5
Klassik
Gut ausbalanciert
Schostakowitsch schrieb seine 7. Sinfonie während der Belagerung Leningrads durch die Deutschen. Soll man die Gräuel in der Musik hören? Vasily Petrenkos Antwort lautet: Nein. Seine Einspielung mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra betont das Neoklassizistische. Die Klänge sind exakt modelliert, gut ausbalanciert, schön bis kühl. Die Sinfonie als utopischer Ort reinen Klangs – vielleicht hatte Schostakowitsch genau das im Sinn.
Benjamin Herzog, SRF 2 Kultur
Dmitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 7 «Leningrad»
(Naxos 2013).
3/5
Jazz
Bunter Strauss
Die Wiener Kontrabassistin Gina Schwarz entlockt ihrem wuchtigen Instrument mancherlei Stimmen, Stimmungen und Grooves. Nun hat die viel beschäftigte Sidewoman eigene Kompositionen geschrieben, die sie hier vom Duo bis zum Oktett zum Klingen bringt. Die CD «Jazzista» ist auch stilistisch ein bunter Strauss: Es reihen sich Big-Band-Swing an Tango Nuevo, Kammerballade an Fusionjazz, Hardbop an Versuche in Freier Improvisation.
Frank von Niederhäusern
Gina Schwarz
Jazzista
(Unit Records 2013).
3/5
Jazz
Intensive Momente
Saxofonisten wie Anthony Braxton, Evan Parker oder Urs Leimgruber haben Solo-CDs veröffentlicht. Jetzt wartet der Luzerner Saxofonist John Voirol nach 30 Jahren Praxis mit seinem Solo-Debütalbum auf: Ein technisch hervorragender Instrumentalist, der so radikal wie melodisch Statements setzt. Ganz und gar improvisiert, sind die Stücke dennoch klar fassbare Preziosen, die viel Jazzgeschichte beinhalten. Die zwölf intensiven «Momente» des Albums kommen aus einem Guss. Pirmin Bossart
John Voirol
ich allein
(Unit Records 2013).
4/5
Sounds
KUNST-KIRCHEN-POP
Die Orgel der Göteborger Annedalskyrkan spielt in schweren Akkorden hymnische Harmonien. Wenn sich die Stimme der Sängerin erhebt, denkt man an Kate Bush. Tatsächlich singt aber die 26-jährige Schwedin Anna von Hausswolff. Sie selber nennt diese Musik «Funeral Pop» – so düster wie etwa Gothic ist sie nicht. Auf dem Album «Ceremony» ist vielmehr ein ganz aussergewöhnlicher, eigenständiger Sound vernehmbar – Kunstmusik mit Pop-Appeal oder umgekehrt. Urs Hangartner
Anna von Hausswolff
Ceremony
(City Slang/Universal 2013).
4/5
Sounds
Erneut der Chef
Vom Chef zum Angestellten zum Chef: Das die Kurzfassung der Biografie von Jason Newsted. 1986 erschien das Debüt von Flotsam & Jetsam, seiner ersten Band. Von dieser wechselte er als Bassist zu Metallica und zu Voivod. Jetzt ist er mit Newsted wieder sein eigener Chef, spielt Bass und übernimmt erstmals den Gesang. «Heavy Metal Music» wird seinem Titel gerecht, bietet klassischen Heavy Metal, der leicht altbacken klingt, aber auch nicht vorgibt, mehr zu sein. Christoph Alispach, SRF 3
Newsted
Heavy Metal Music
(Epic/Sony Music 2013).
3/5
World
Englische Meisterjägerin
Sie klingt wie Joni Mitchell und adaptiert Bob Dylans «It Ain’t Me Babe». Aber Laura Marling beweist mit ihrem vierten Album «Once I Was An Eagle» eine erstaunliche Eigenständigkeit. Als Folksängerin möchte sie verstanden werden, doch ihre Wurzeln reichen von Led Zeppelin bis zu indischem Raga. Spannend auszudenken, was die 23-Jährige in Zukunft anrichten wird. Mit einem ihrer Songtitel umschreibt sie sich gleich selber – als «Meisterjägerin». In der Tat! Martin Schäfer, SRF 3
Laura Marling
Once I Was An Eagle
(Universal/Virgin 2013).
5/5
World
Griechische Archivperlen
Das renommierte Label Dust-To-Digital hebt seit Jahren seltene Musik aus Archiven und produziert damit wunderbare CDs. «Greek Rhapsody», das neueste Produkt dieser Recherchen, präsentiert 42 Instrumentalstücke aus Griechenland, aufgenommen zwischen 1905 und 1956. Die zwei CDs sind mit einem informativen Hintergrundtext und Schwarz-Weiss-Fotografien erschienen: Die Vielfalt der griechischen Musik ist ein Genuss.
Thomas Burkhalter
Various Artists
Greek Rhapsody
(Dust-To-Digital 2013).
5/5