Jazz
Aktives Mitdenken von Vorteil
Wenn eine Band mit jedem neuen Album anders klingt, macht das hellhörig. Das Genfer Pianotrio Plaistow hat in seiner erst sechsjährigen Bandgeschichte bereits mehrere «Phasen» durchspielt. Nach Anfängen mit
psychedelisch-düsterem Brachialsound überraschte es letztes Jahr mit der CD «Lacrimosa», auf der sich zwei repetitiv strukturierte Minimal-Suiten fanden. Und nun «Citadelle»: Eine Sammlung von acht kraftvollen, fast schon fröhlich Richtung Pop flatternden Songs. Doch der Schein trügt, denn diese Songs haben es in sich und erfordern seitens des Publikums ein aktiv-interessiertes Mitdenken. Schon die rhythmischen Strukturen bergen Stolperfallen, deren Heraushören aber zunehmend Spass macht, weil es neue Klangerlebnisse ermöglicht. Erneut legen Johann Bourquenez (Piano), Vincent Ruiz (Bass) und Cyril Bondi (Drums) ein durchdachtes und kunstvoll arrangiertes Jazzalbum vor.
Plaistow
Citadelle
(Two Gentleman 2013).
World
Brasilianischer Feuer aus Stuttgart
Es mag überraschen, wenn ein brasilianischer Superstar nach 40-jähriger Karriere behauptet, sein bestes Album in Stuttgart aufgenommen zu haben. Doch was Ivan Lins mit der SWR Big Band dort vorletzten Winter fabriziert hat, ist tatsächlich aussergewöhnlich. «Cornucopía» bringt das Schaffen des 67-jährigen Komponisten, Pianisten und Sängers auf den Siedepunkt. Die deutsche Band interpretiert bekannte und neue Kompositionen mit einer Mischung aus tropischem Feuer und europäischem Perfektionismus. In teils neuen Arrangements und mit dezent eingesetzten elektronischen Effekten. Lins selbst ist singend und an den Keyboards zu hören. Bandleader Ralf Schmid hat zudem brasilianische Gastmusiker wie Sängerin Paula Morelenbaum oder die Perkussionisten Pardinho und Edmundo Carneiro aufgeboten. Ein wunderbares Album, das die melodiöse Magie des Autodidakten aus Rio de Janeiro gebührend feiert.
Ivan Lins
Cornucopía
(Moosicus 2013).
Klassik
Sturm und Drang
Vom ersten Ton an wird deutlich: Mit einem biederen helvetischen Kleinmeister haben wir es hier nicht zu tun. Die Sinfonien des Genfer Komponisten Gaspard Fritz (1716–1783) pulsieren, stürmen und drängen, arbeiten mit Kontrasten und können im nächsten Moment verliebt ein Detail umschwärmen. Händel soll seine Musik gelobt haben, und so tun wirs ihm gleich, besonders bei dieser lebendigen Interpretation durch das Ensemble La Stagione aus Frankfurt. Thomas Meyer
Gaspard Fritz
5 Sinfonias
(cpo 2013).
Klassik
Cello-Kosmos
Eine Menükarte diente als Vertragsformular: Benjamin Britten versprach darauf, für den Cellisten Mstislaw Rostropowitsch sechs Solosuiten zu schreiben. Allerdings wurden es bis zu Brittens Tod 1976 nur drei. Zusammen mit der Cello-Sonata und der Cello-Sinfonie sind sie die grösste Werkgruppe für ein Soloinstrument, die der englische Komponist hinterlassen hat. Nun interpretiert der virtuose Alban Gerhardt diesen Cello-Kosmos souverän.
Roland Wächter, SRF 2 Kultur
Benjamin Britten
Cello Symphony, Cello Sonata & Cello Suites
(Hyperion 2013).
Jazz
Langer Atem
Keine Angst vor langen Tracks: Der Zürcher Gitarrist Yves Reichmuth beweist, dass 14- oder 18-minütige Stücke nicht ziellos ausufern müssen. Ihnen liegen Kompositionen zugrunde mit klaren Strukturen und Motiven, die den Flow des Quartetts mit Lucien Dubuis (Bassklarinette), Silvan Jeger (Bass) und Lionel Friedli (Drums) schärfen und kanalisieren. Das verleiht auch den subtilen Klangzonen Konturen und lässt genügend Raum für improvisatorische Entgrenzungen. Pirmin Bossart
Yves Reichmuth Quartet
Fingertongue
(Veto Records 2013).
Jazz
Lieblingslieder
Als Schlagzeuger ist John Hollenbeck ein sehr gefragter Sideman. Als Komponist und Arrangeur von Big-Band-Partituren kennt man ihn aber noch nicht so gut. Dabei hat der 44-jährige US-Amerikaner mit seinem Sound
eine eigene Handschrift entwickelt. Eine Rarität in diesem Business. Wenn er darin seine Lieblingslieder für ein so illuster besetztes Orchester wie die Frankfurt Radio Big Band einpackt, ist der Hörgenuss perfekt.
Peter Bürli, SRF 2 Kultur
John Hollenbeck
Songs I Like A Lot
(Sunnyside 2013).
Sounds
Direkt ins Herz
Diese fünf jungen Basler wissen, wie man übers Ohr direkt ins Herz gelangt.
Das haben sie bereits mit ihrem Debütalbum vor drei Jahren bewiesen. Mit der Nachfolger-CD tun sie es erneut, obwohl «Sorry» anders daherkommt. Jugendliche Leichtigkeit wurde mit schwerer Melancholie ausgetauscht. Geblieben sind die grossen Melodien und eine fette Portion Emotionen, die den Indie-Pop-Sound der Basler prägen.
Ivo Amarilli, SRF Virus
Sheila She Loves You
Sorry
(Anker/Irascible 2013).
Sounds
Altersweise Grösse
Er war immer mehr als nur das One-Hit-Wonder («A Girl Like You»), auf das viele Edwyn Collins gerne reduzieren. Mit Beständigkeit hat sich der 53-jährige Schotte über die Jahre bewährt – trotz zweier Schlaganfälle vor sieben Jahren, die ihn fortan behindern. Collins machte weiter. Auf dem neuen Album «Understated» liefert er einen Strauss abgeklärter, altersweiser Songs ab, die ihn erneut als grossartigen Komponisten und Sänger auszeichnen. Urs Hangartner
Edwyn Collins
Understated
(Rough Trade/MV 2013).
World
Algerischer Rocker
Algerische Chaâbi-Tradition, frankofones Chanson, Punk und Elektronik: Rachid Taha war schon immer die abenteuerlustigste Stimme der sogenannten «Beurs», der in Frankreich lebenden Maghrebiner. Auf «Zoom» markiert
er – anders als auf «Bonjour» vor vier Jahren – wieder den sperrigen Trance-Rocker. Wie er einst mit Charles Trenets «Douce France» verfuhr, so schüttelt er nun Elvis Presleys «It’s Now Or Never» durch und bleicht es an der Wüstensonne. Martin Schäfer, SRF 3
Rachid Taha
Zoom
(Naïve 2013).
World
Retro-Sounds
Die multikulturelle Truppe Chicha Libre aus Brooklyn spielt peruanische Cumbia-Musik mit kalifornischen Surf-Gitarrensounds der 1970er-Jahre. Auf ihrer neuen CD «Cuatro Tigres» stülpen die Musiker bekannten Stücken wie «Guns of Brixton» von The Clash oder der Titelmelodie der TV-Serie «Simpsons» ihr psychedelisches Soundkleid über. Hinzu kommen Neuvertonungen bekannter Popsongs aus den Anden. Eine Band für Südamerika- und Retro-Fans. Thomas Burkhalter
Chicha Libre
Cuatro Tigres
(Barbes Records 2013).