Ruedi Widmer ist der «erfolgreichste freie Cartoonist des Landes». Das sagt Constantin Seibt, Zürcher Journalist und Mitgründer des Online-Magazins «Republik.ch», an der Buchvernissage. Widmers Zeichnungen erscheinen unter anderem im «Tages-Anzeiger», im «Landboten» und im Konsumentenmagazin «Saldo». Er kann es aber nicht nur mit dem Zeichenstift am Computer, sondern auch mit Buchstaben. Für die «Wochenzeitung» (WOZ) schreibt er regelmässig eine Kolumne.
Stets treffsicher und genial
Der Rotpunktverlag hat das Beste vom Besten an Cartoons und Texten aus den vergangenen zehn Jahren ausgewählt, sorgfältig gebündelt und das Ergebnis als Buch veröffentlicht unter dem Titel: «Widmers Weltausstellung».
Widmers Humor ist stets treffsicher und genial. Er bringt einen bekannten Sachverhalt aus einer völlig neuen Perspektive auf den Punkt. Nie ist Widmer absolut böse. Seine Figuren kommen immer freundlich, fast sympathisch daher, seien es Spiessbürger, Neonazis, Manager oder Donald Trump. Ruedi Widmer trägt die Locken nicht auf dem Kopf, sondern im Gehirn, konstatiert Seibt. «Er ist ein zeichnendes Kind, das mit harten Fakten und politischen Parolen spielt wie mit Lego.»
Zum Beispiel im Cartoon «Grenzen schliessen». Ein Zürcher Beamter sagt zu einer blondhaarigen Neuzuzügerin: «Aus Schaffhausen? Und Sie wollen nach Zürich? Hören Sie, in Schaffhausen ist kein Krieg.» Das Verfallsdatum von Widmers Arbeiten tendiert gegen null. Der Cartoon «Grenzen schliessen» ist fast drei Jahre alt.
Erfundenen Geschichten den Lauf lassen
Mehr noch. Manchmal ist Widmer der Zeit sogar voraus. Etwa in einer Kolumne aus dem Jahr 2011: Damals konnten die Stimmbürger der Stadt Zürich über die Erhöhung eines 40 Meter hohen Getreidesilos auf 120 Meter abstimmen. Nur der Quartierverein und die Alternative Liste waren dagegen.
Ruedi Widmer aber stellt sich vor, nicht die Linken, sondern die SVP sei gegen die Aufstockung. Er treibt das Gedankenexperiment in diesem brillanten Text weiter und tritt virtuell der lokalen SVP bei. Dann meldet sich das Lokalfernsehen TeleZüri. Widmer sagt bei einem Interview, das Silo sei nicht nur ästhetisch eine Katastrophe, sondern auch gefährlich für die Gesundheit. «Wenn man oben Getreide einfüllt, ist dieses, bis es 120 Meter tiefer für die Weiterverarbeitung entnommen wird, bereits verfault.»
In der Gratiszeitung «20 Minuten» warnt ein «Experte für Getreidetechnologie» in dieser widmerschen Fantasie vergeblich: «Was Widmer sagt, ist reine Polemik und wissenschaftlich unhaltbar.» Es nützt alles nichts. Schon bald ist die Stadt vollgepflastert mit SVP-Plakaten. Darauf sagt ein kotzendes Comicmännchen «Schweizer essen kein verdorbenes Brot».
So funktionieren «Fake News»: einfach eine erfundene Wahrheit in die Welt setzen und entspannt zuschauen, was passiert. Zum Glück gibt es «Widmers Weltausstellung». Wer sie besucht, weiss Bescheid.
Lesung
Di, 17.4., 20.00 «Treffpunkt»
im Hunzikerareal, Dialogweg 1, Zürich
Buch
Ruedi Widmer
Widmers Weltausstellung.
Cartoons und Kolumnen
168 Seiten
(Rotpunktverlag 2018)