Nein. Nicht beim Coiffeur. Dafür sind meine Haare zu kurz und zu wenig, das reicht nicht für eine Frisur. Ich mach die Haare schön, indem ich sie wegmache.
Nein. Auch nicht beim Steueramt. Ich frisiere meine Steuerrechnung nicht. Der Staat braucht ja das Geld. Nicht, weil er jung ist, aber für die Strassen, die Landwirtschaft, die Kontingente und für die Solidarität.
Vom Töffli-Frisieren. Zweigang. 30 Kilometer pro Stunde. Oder «ka emm haa». Ich sagte jeweils «ka emm haa», das tönte urban, obwohl urban als Begriff wohl noch nicht existierte. «Ka emm haa». «Ka em» war klar, aber ich hatte keine Ahnung, was «haa» bedeutete. Es fühlte sich international an und es gefiel den Mädchen. Den Mädchen, die ein Ciao von Piaggio fuhren und Automat. Für die Buben musste es ein 2-Gang Handschalter sein, ein Puch, ein Sachs oder ein Pony. Ich erinnere mich: vom Bruder das alte Pony geerbt, immer musste ich das Alte vom Bruder übernehmen, Schicksal und Bestimmung der Zweitgeborenen, zuerst das Dreirad (Visa Gloria), danach den Dreiganggöppel, Marke nicht mehr lesbar, weil gelb und schwarz übermalt, Bruder war YB-Fan. Später seinen Halbrenner, 5 Gänge, dünne Slicks und nach unten gebogenem Gido, Guido, oder Gideau, oder Quido, Herrgottnochmal, keine Ergebnisse auf Google: «Meinten sie…?» NEIN! Meinte ich nicht!!! Ich meinte Gido, Gido, Gido. Oder Guido.
Lenker, halt.
Halbrenner gibts wohl nicht mehr. Mir gefällt das Wort: Halbrenner. Ein halber Renner, gut gebaut, leicht, aber doch nur zum Angeben auf der Strasse. Oh, er fährt einen Halbrenner … Ein wenig dabei sein im Wissen, nie ein Rennen zu gewinnen.
Ich bin auch ein Halbrenner, früher beim Fussball, Linksfüsser und Halbrenner, zwar recht schnell und technisch nicht unbegabt, aber eher lauffaul. Und eben nie das Rennen gewonnen. Rennen ist nicht meine Disziplin, ich habe zu wenig Disziplin, ich renne nicht, wenn ich nicht muss. Rennen ist langweilig. Rennen ist ungesund. Rennen ist sicher viel weniger gesund als allgemein gemeint. Rennen wird überbewertet. Ich bade lieber. Nicht schwimmen, wegen des Meniskus. Beim Brustschwimmen werden ja die Knie in Mitleidenschaft gezogen respektive verdreht; in Mitleidenschaft verdreht. Dieses Ausdrehen und wieder zur Mitte hin zurückschlagen in die Streckung ist Gift für mein Knie. Deshalb bade ich. Klar, ich könnte auch crawlen, da werden die Knie nicht ausgedreht, die Bewegung ist sanfter und weniger schädigend. Ich kann aber nur auf eine Seite hin Luft holen (links), mein Lufthole-Rhythmus ist drei und nicht vier und nicht zwei. Deshalb bade ich.
Das Wetter übrigens auch. Wird überbewertet.
Den Halbrenner gibts nicht mehr, im Fussball nicht und auch nicht im Velogeschäft. Die heissen jetzt Flyer, oder Stromer, oder E-Bike, und fahren mit Motor. Heute gönnt man sich ein Elektrovelo. Am Morgen im Anzug und Helm auf das Bike und mit 60 «Ka emm haa» ins Büro brausen. Ich sag mir dann jeweils, schau her, ein Anzug im Anzug. Elektrovelos sind die neuen Off-Roader, in der Stadt genauso unnötig wie unberechenbar. Sogar Pro-Velo Schweiz warnt: «Vorsicht beim Vortritt: Du weisst nie, was kommt.» Ist es jetzt ein Velo, ein E-Velo, ein Flyer? Hörst du ein Auto, wenn du nichts hörst, ist es ein Elektroauto, oder ist es ein Hybrid? Dann hörst du manchmal etwas. Oder ein Tram, ein Bus, ein Roller, ein Elektroroller, ein Rollator, oder gibts jetzt auch schon Elektro-Rollatoren? Und das alles richtig einschätzen. Wegen der «Ka emm haa»!
Das alte Töffli vom Bruder. Ein Pony. Auch wieder gelb und schwarz bemalt. Zum Glück war ich schon damals YB-Fan und bin es auch heute (macht das Leben auch nicht einfacher!). Ein gelb-schwarz gestreiftes Pony. Ein Zebra eigentlich. Mein Freund sagte, es summe wie die Biene Maya. Unfrisiert. Eingefahren zwar, aber unfrisiert. Zum Glück hatte ich damals diesen Freund. Freunde sind wichtig, Freunde helfen. Dieser Freund konnte frisieren. Und wie. Sein Pony fuhr 65 «ka emm haa», dazu hatte er eine lange Gabel mit enormen Stossdämpfern, ähnlich wie Peter Fondas Töffgabel in «Easy Rider», einfach born to be wild. Dieser Freund half mir dann, Maya zu frisieren: Vergaser ausbauen und aufbohren, Düse ersetzen, Ansaugstutzen vergrössern. Löcher bohren in den Luftfilterkasten (haben wir als Filter wirklich eine Socke über den Kasten gestülpt?), Teile des Kolbens kürzen, Steuerschlitze im Zylinder feilen und wieder zusammenbauen, fahren, Möglichkeiten diskutieren, ausbauen. Zusammenbauen. Schliesslich machte mein Pony fünfundfünfzig (55!) ka emm haa!!! 55!! Und legte eine unglaublich dicke Getriebeöl-Spur. Get your motor runnin’. Ich war sehr glücklich! Und hatte immer schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Von der Charrensalbe.
Die E-Velos fahren auch 60 km/h. Aber einfach so und ohne Ölspur! Dafür mit Helm. Ich habe nachgeschaut im Dictionnaire: Lenker heisst französisch Guidon. Und türkisch Gidon. (Ja, ich habe einen Deutsch–Türkisch Dictionnaire.)
Schertenlaib
Michel Gsell alias Schertenlaib spielt Schlagzeug, Ukulele und Tuba. Er ist Sänger, liebt das Rezitieren und ist Fan des Fussballclubs BSC Young Boys. Schertenlaib ist die grössere Hälfte des Berner Komikerduos Schertenlaib&Jegerlehner, 2013 mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet.
Aufführungen:
Sa, 1.11., 20.15 Kleine Bühne, Zofingen AG
Do, 13.11., 20.00 Stürmeierhuus Schlieren ZH
Sa, 22.11., 20.15 Kib Murten FR
Fr, 28.11., 20.00 Ref. Kirche Düdingen FR
Sa, 29.11., 20.00 Altes Schlachthaus
Herzogenbuchsee BE
www.schertenlaibundjegerlehner.ch