Eine Anfrage:
– Herr Mezger, hier der kulturtipp, wir wollten fragen: Würden Sie uns einen Text schreiben?
– Aber klar doch, darf ich fragen zu welchem Thema?
– Kein Thema. Carte blanche. Sie sind ganz frei.
– Ich bin …? Ach so.
– Frei, ja.
– Frei, aha.
– Ja, frei.
Freiheit bedeutet Arbeit, so viel habe ich unterdessen herausgefunden. Die Formel gilt fürs Schreiben gleichermassen wie fürs Leben. Denn Freiheit ist nicht selbstverständlich. Man muss dafür kämpfen. Oder mit ihr ringen. Meistens eigentlich Letzteres.
Carte blanche also. Ich bin frei und habe die Arbeit, mir selbst auszudenken, worüber ich schreibe. Und Sie haben ein Problem: Sie müssen mir vertrauen, dass ich nicht über nichts schreibe.
Also lassen Sie uns einen Deal machen. Sie geben mir etwas von Ihrer Zeit, fünf Minuten, vielleicht zehn (oder wie schnell lesen Sie?), und ich verspreche Ihnen, dass ich versuchen werde, Sie nicht leer zurückzulassen. Und vor allem: Dass ich mir Mühe geben werde, Sie unterwegs nicht zu langweilen. Auch wenn es hier um Kunst geht. Um Kunst und Inhalt.
Und Sie merken schon: Ich versuche ja längst, Sie bereits ins Thema hineingezogen zu haben, während ich Sie noch glauben lassen möchte, das sei alles bloss Vorgeplänkel. Verkaufstechnik nennt man das wohl.
Verkaufstechnik. Das ist es, was ein Thema ist. Wenn es denn um Literatur geht.
Denn wenn es denn um Literatur geht, dann haben Bücher bloss scheinbar Themen. Diese öffnen die Tür, locken einen ins Buch hinein und stellen die Frage: So, und worum geht es nun eigentlich?
Oder ein anderes Bild: Bücher sind trojanische Pferde. Im Bauch lauert immer das eigentliche Thema. Meist hat es nichts mit dem zu tun, weswegen man das Pferd ins Innere der Festung gelassen hat.
Journalisten mögen Bücher mit klaren Themen. Aufwachsen im Osten, das Leben im amerikanischen Ghetto, die Reibung von Stadt und Land. Da kann man auch anschliessend was darüber schreiben. Auch wenn es in den Büchern oft im Kern um anderes geht.
Bücher, die wirklich Themen haben und diese auch behandeln, nennt man Sachbücher. Und Romane, die Themen haben und diese auch behandeln wollen, sind sehr oft ebenfalls trojanische Pferde. Nur ist ihre Fracht unwillkommen. Als allererstes dem Autor. Der will zum Beispiel eine Aussage erzielen. Sagen wir eine politische. Vielleicht auch eine versöhnliche. Und allzu oft erzielt er gerade dadurch Widerspruch. Denn nicht immer passt das Innere des Pferdes zu seinem Weltbild.
Zum Beispiel gibt es da einen Helden, und der will etwas, und damit es am Ende eine runde Geschichte gibt, muss er dafür bezahlen. Kurz: Wer etwas will, bekommt eins drauf! Viele Geschichten sind insgeheim reichlich reaktionär.
Oder erinnern Sie sich an die Anti-Kriegsfilme? Die Botschaft ist klar: Krieg ist schlecht. Und man schaut und schaut, ja mit Ekel, aber ja, auch mit Vergnügen, und man lernt: Krieg hat ja offenbar auch seine guten Seiten. (Man darf sich im Dreck suhlen und Kameradschaft erleben …)
Es ist schade, dass sich Kunst so schlecht instrumentalisieren lässt. Auch nicht vom Urheber. Dass das kaum geht: Eine Aussage machen, die sich nicht gegen sich selbst richtet. Aber es ist auch gut, denn es zwingt die Kunst offen zu bleiben.
Und da merkt man es schon: Auch ich will eine Aussage treffen. Auch ich möchte gerne auf etwas hinaus. Darauf, dass Kunst keinem Zweck dienen soll.
Ich will das natürlich sagen, weil sie immer wieder vermessen wird, weil (zum Beispiel von den Kräften, die sich bürgerlich nennen, die sich aber längst vom bürgerlichen Gedanken verabschiedet haben) so oft die Frage gestellt wird, ob sich Kunst nun lohnt oder nicht. Ob sie, sagen wir, ein Standortvorteil für eine Stadt sein kann. Oder ob sie Mehrwert und Profit abwirft. Ob sie nicht viel zu teuer und zu sinnlos ist. Und ich will mich hinstellen und laut werden, und mit leicht überschlagender Stimme will ich sagen: Finger weg! Die Kunst muss sich nicht unterwerfen, keinem Profitanspruch! Und keinem Inhalt! Kunst hat keinen Zweck. Soll keinen haben!
Und in den Bauch meiner Aussage hat sich längst eine andere geschmuggelt: Brauchen wir nicht die Kunst, eben gerade, weil sich ihr Zweck so schlecht instrumentalisieren lässt? Und weil sich ein Inhalt aufdrängt, der uns etwas angeht? Nicht als Aussage, die wir abnicken oder ablehnen können. Als Frage und als Versuch, eine Antwort darauf zu geben. Dass das Scheitern der Sinngebung eben genau Sinn ergibt?
Auf Platz Nummer zwei der Fragen an Schriftsteller liegt direkt nach: Können Sie davon leben? die Frage: Worüber schreiben Sie?
Und dann stottere ich, denn ja, natürlich, auch meine Texte, die haben Aufhänger, es gibt vordergründig Themen, zum Beispiel ist da dieser Roman namens Land spielen und der Titel sagt es schon, um das Land geht es. Und darum greift man vielleicht im Laden nach dem Buch, und darum beginnt man vielleicht zu lesen. Aber eigentlich geht es nicht wirklich um das Land, sondern vielmehr um das Leben als Familie. Oder genauer: um das System Familie. Darum, wie jeder den anderen beeinflusst. Um diese fast durchsichtigen Fäden, die die Menschen verbinden, obwohl sie doch denken, sie seien frei. Oder genauer: Darum, dass die Menschen gerne frei wären und gleichzeitig eben doch lieber nicht. Oder genauer: Darum, wie der Mensch sich und das Leben gerne sähe. Oder genauer: Darüber, was das heisst, das Leben. Oder noch genauer: Darüber, was es heisst, ein Mensch zu sein.
Jedes Buch, das sich nicht selbst ein Bein stellt, indem es seine inneren Fragen vorschnell beantwortet, behandelt doch dieses Thema: Was heisst das, ein Mensch sein?
Ein Buch, das sich dieses Thema aufs Cover schreibt, würde ich nicht lesen wollen. Es würde versuchen, die Frage zu beantworten. Und ich würde die Antwort infrage stellen, denn ich bin ziemlich sicher, dass sie mich unbefriedigt zurücklassen würde, und leer.
Gute Bücher geben aber dennoch eine Antwort auf die Fragen. Wie geht das: Menschsein? Wie gehen wir mit unserer Freiheit um? Sie lassen uns nicht leer zurück. Sie nehmen uns ernst und versuchen, nicht zu lügen. Sie spiegeln uns, wir dürfen uns erkannt fühlen. Denn die Weisheit in den weisen Büchern lautet: Ich weiss doch auch nicht …
Und gerade das ist das Tröstliche. Wir sind mit unserer Frage nicht allein.
Daniel Mezger
Geboren 1978 wuchs er in Linthal GL auf und startete seine Karriere als Schauspieler. Nach Jahren am Theater und
in diversen Filmrollen fand er zum Schreiben. Nebenher ist er Sänger der Band A Bang And A Whimper. Mezgers Stücke werden im gesamten deutschsprachigen Raum aufgeführt. Mit einem Auszug aus «Land spielen» wurde er 2010 nach Klagenfurt eingeladen, der Roman erschien 2012 bei Salis. 2015 erschien «Als ich einmal tot war und Martin L. Gore mich nicht besuchen kam».
www.danielmezger.ch