Christoph von Goumoëns’ Hände stecken tief in den Hosentaschen, die blauen Augen hinter der rotgerandeten Brille scheinen nichts zu fokussieren. Doch kaum geht es ums Theater, reibt er sich die Hände, sein Blick ist wach, sein Ton fordernd. Er spricht von «0021 – Diamonds Are Forever», dem theatralen Geschwister-Porträt der Kompanie Affenherz – von, mit und über Christoph und Annette von Goumoëns.
Die Idee für die Produktion entstand, weil die Luzerner Schauspielerin und Sängerin Annette von Goumoëns immer wieder über ihre Kindheit ausgefragt wird. Wie es gewesen sei, mit einem älteren Bruder mit Trisomie 21 aufzuwachsen. Die Anekdoten, die sie dazu oft zum Besten gibt, sind bühnentauglich. Dies fand auch Beatrice Fleischlin, die das Stück zusammen mit den von Goumoëns entwickelte und Regie führt.
In den Rollen von Hollywoods Helden
Vordergründig handelt die Produktion vom gemeinsamen Schauen und Nachspielen von Action-Filmen. Von James Bond, Superman und Tarzan, von den Helden Hollywoods. Es geht aber auch darum, wer die beiden sind – miteinander und wegen einander. Dabei könne es durchaus etwas kitschig werden, sagt Annette von Goumoëns. Obwohl dieses Wort so gar nicht zu ihr zu passen scheint.
Annette ist die jüngere der beiden Geschwister. Die 47-Jährige war in den letzten Jahren vor allem als Produktionsleiterin und konzeptionelle Kulturschaffende in der internationalen und lokalen Kunst- und Kulturszene aktiv. Nun wird sie nach einer langen Zeit hinter der Bühne wieder auf ihr stehen.
Christoph, ihr zwei Jahre älterer Bruder, lebt und arbeitet seit über 30 Jahren auf Schloss Biberstein im Kanton Aargau in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung. «Der einzige in unserer Familie, der standesgemäss residiert», sagt seine Schwester bei einem Spaziergang über den Schlosshof in Richtung Werkstatt. Sie kokettiert gerne mit der aristokratischen Herkunft ihrer Familie.
In der Werkstatt wartet bereits der Bruder in seinen besten Arbeitsklamotten. Seine Werkbank ist seit Stunden perfekt aufgeräumt, die Kollegen stehen solidarisch nervös an ihren Plätzen. Kurz und knapp erklärt Christoph von Goumoëns seine Arbeit, die vor allem im Schleifen und Bemalen von Holzteilen besteht – für Vogelhäuschen, Magnete oder Schlüsselbretter.
Es braucht Konzentration, ihn zu verstehen, und alle Worte kann selbst seine Schwester nicht zuordnen. Daraus habe sie früh gelehrt: «Man muss nicht immer alles und alle verstehen. Manchmal ist es spannender, bloss eine Ahnung zu haben.» Sie ist vom Luzerner Dialekt ins Berndeutsch gerutscht, seit ihr Bruder die Türe der Werkstatt aufgeschlossen hat. Nun blickt sie ihm erstaunt hinterher. Er marschiert, trotz operierter Hüfte, mit einem recht passablen Tempo über den Hof zurück ins Wohnhaus. Sie neckt ihn, zu Hause sei er nicht ganz so schnell und selbständig unterwegs wie hier an seinem Arbeits- und Wohnort. Er antwortet trocken und schüttelt den Kopf. Sie klopft ihm auf den Hintern, nennt ihn «das Kamuff».
Aufgewachsen sind die zwei älteren von vier Geschwistern im luzernischen Kriens fast wie Zwillinge. Dieselben Klamotten, dasselbe Zimmer, ständig klebten sie zusammen. Trotzdem habe Christoph sie in den vergangenen Probewochen immer wieder überrascht und begeistert, sagt sie. Noch heute seien viele Vorstellungen und Haltungen ihres Bruders beeinflusst von Filmen. «Etwas bünzlig und genderstereotyp», nennt sie es. Dass sie lesbisch ist, sei für ihn wohl deshalb völlig unverständlich. Immer wieder habe er ihr die Freundinnen ausspannen wollen. Das sei ihr Los. Sie habe sich daran gewöhnt, dass ihr Bruder gerne im Mittelpunkt stehe, dass er auch bei diesem Stück der Star sein werde.
«Für Christoph gibt es keinen Schongang»
Es kann sie aber auch zur Weissglut treiben, wenn er sie vor lauter Mittelpunkt vergisst, bei der Begrüssung oder auf der Bühne beim Verneigen. Ihre direkte und fordernde Art ihm gegenüber sei für Regisseurin Fleischlin oft gewöhnungsbedürftig, sagt Annette von Goumoëns. «Bei mir gibt es für Christoph keinen Schongang», sagt sie. Und sie sei überzeugt, dass sie ihm damit mehr helfe als mit ständiger Übervorsicht und Rücksichtnahme.
Mittlerweile sitzen sich die Geschwister im kleinen Wohnzimmer auf Ledersofas gegenüber. Er erklärt die Szene mit grossen Gesten. Sie versucht, simultan zu übersetzen und seine Ausführungen im Stück einzuordnen. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, reden gleichzeitig, immer lauter – keiner gibt auf. Sie befiehlt, er befiehlt. Endlich holt er Atem und überlegt, während seine Schwester in Gelächter ausbricht.
0021 – Diamonds Are Forever
Premiere: Mo, 4.2., 20.00
Kleintheater Luzern
Kultur für alle
Das Kleintheater Luzern lanciert ein neues Festival unter dem Namen «Unfrisiert». Eine Woche lang sind Projekte von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zu sehen. Es gehe darum, «kulturelle Teilhabe» nachhaltig und auf allen Ebenen im Haus zu verankern. Dazu sind die Leiterinnen des Hauses, Sonja Eisl und Judith Rohrbach, mit Pro Infirmis eine mehrjährige Partnerschaft eingegangen. Zum Programm gehören unter anderem «0021 – Diamonds Are Forever» der Geschwister von Goumoëns, ein Crashkurs in Gebärdensprache, Filmvorführungen und Produktionen des Theaters Hora.
Unfrisiert Festival
Mo, 4.2.–So, 10.2.
Kleintheater Luzern
Stattkino Luzern
Programm: www.kleintheater.ch