«Drei, zwei, eins – go!», tönt es fortissimo aus dem Publikum. Es ist der Countdown zu einer szenischen Initialzündung, in deren Folge vier Schauspieler das Casinotheater Winterthur zum Beben bringen. Das Tempo? Hoch. Die Pointen? Zahllos. Die Akteure? Vier Männer. Einer von ihnen gärtnert gerade, ein zweiter kommt herbei, seine Hände zum Griff geformt, als würde er etwas tragen. Dieses Etwas stellt sich als Sack Dünger heraus. Aber nicht lange. Denn schon verwandelt sich der Dünger in eine Flasche Jahrgangswein – um innert kürzester Zeit die wundersame Wandlung zum rosigen Baby zu vollziehen. Man lacht. Staunt. Wie kann Theater so schnell, so fliessend und virtuos Geschichten miteinander verquirlen?
Das temporeich improvisierte Vergnügen hat einen Namen: Theatersport. Erfunden in den 1970er-Jahren in Kanada als Trainingsmethode für ein Schauspielensemble, hat das Instant-Theater mit Frischegarantie längst seinen Siegeszug um die Welt angetreten.
Erst einmal Hemmungen abbauen
Die Regeln sind hart, aber fair: Zwei Teams versuchen in mehreren Runden, die Gunst – und die Punkte – des Publikums zu erspielen. «Denkt dran: Euer Applaus ist ihr Brot», wirft Schiedsrichter Sven Stickling im Casinotheater zur Begrüssung in die Runde. Es folgt ein Warm-up für uns Zuschauerinnen und Zuschauer, schliesslich sind wir heute besonders gefordert. Also heisst es erst einmal: Hemmschwellen abbauen. Etwa, indem wir einander auf Kommando auf die Schultern klopfen. Anschliessend wird die Qualität unseres Beifalls optimiert, mittels «La ola», bis 300 Menschen gemeinsam die perfekte Welle raus haben. Und tatsächlich: Anfängliche Hemmungen werden schnell weggespült vom Kollektiv des – im Vergleich zum klassischen Sprechtheater – sensationell jungen Publikums. Was ist hier los?
Auf den Lorbeeren ausruhen ist ein No-Go
Bevor man Zeit hat, sich darüber Gedanken zu machen, fragt der Schiedsrichter in den Saal: «Was seid ihr von Beruf?» Es meldet sich Christoph, von Beruf Kranführer. «Das gefällt mir!», strahlt Sven. Und skandiert: «Gebt mir ein Genre!» Jemand ruft: «Operette». «Das ist sehr gut. Wir werden also nun eine Kran-Operette sehen, eine sogenannte Kranette!» Und: «Drei, zwei, eins, go!» schiesst der Countdown los.
Spot an. Die Band spielt schummrige Harmonien, und Tim-Owe Georgi thront als Kranführer auf einem Holzstuhl, pardon: Kranführer-Sitz, während sein Kollege Romeo Meyer hochmotiviert die Tausenden von (imaginären) Stufen erklimmt. Sein elastisch-gymnastischer Hüftschwung ist urkomisch, genau wie das Pathos, mit dem Romeo Meyer formvollendet schmettert: «Ich steig hinauf …! Ich steig hinauf …!» Prompt folgt in sonorem Legato der Kommentar seines Kollegen Georgi: «Nimm – doch – den – Lift.» Allgemeines Gelächter.
Oben angekommen ist auch in Sachen Humor eine neue Höhe erreicht, mit dem Reim: «Da bist du ja, im Gesicht ein Flaum – in der Hand ein Tannenbaum.» Aber Achtung. Auf eben errungenen Lorbeeren auszuruhen ist beim Theatersport ein No-Go. Wers dennoch versucht, kriegt umgehend eine gelbe Karte. Die gibt es übrigens auch für allzu niedrige Flughöhe. Darum setzt Romeo Meyer lieber gleich beherzt zum finalen Operetten-Song an.
Themen so breit wie das Leben
Der Kran-Operette werden im Laufe des temporeichen Abends bunt gemischte Genres folgen mit Reggae-Ton und Ratespiel, Pantomime und Musical. Auch die Themen sind so breit wie das Leben. Beginnend bei A wie Albert Einstein, über L wie Laubbläser bis hin zu S wie siamesische Zwillinge. Dass nach gefühlt tausend Pointen das Team Theater Turbine Leipzig vor Theatersport Winterthur den Sieg mit knappen zwei Punkten Vorsprung davonträgt, nimmt das Winterthurer Publikum sportlich. Schliesslich sind wir ja auch beim Theatersport, schon vergessen?
Fünf Fragen an Romeo Meyer und Tim-Owe Georgi von Theatersport Winterthur
«Es ist viel Handwerk dabei, das man sich erarbeiten muss»
kulturtipp: Theatersport ist das Theater mit der wahrscheinlich kürzesten Vorbereitungsphase: «3 – 2 – 1» heisst der Count-down. Was geht Ihnen in diesen Sekunden durch den Kopf?
Romeo Meyer: Wenn wir zum Beispiel als Vorgabe den Titel «Samira» kriegen und als Genre Country, überlege ich mir schon einen Reim auf Samira. Auch, ob sie die Angebetete ist, die ich nie erreichte, oder ein anderes Wort für mein Auto …
Tim-Owe Georgi: Ich versuche, möglichst nicht vorauszudenken. Wenn runter gezählt ist, macht einer von uns ein szenisches Angebot – ich nehme es auf und verstärke es. Von da aus hangeln wir uns weiter.
Sie gehen den Weg des geringsten Widerstands?
Georgi: Das ist der Weg, den der Gedanke geht. In dem Moment, wo ich das hinterfrage, blockiere ich den ganzen Prozess.
Wie probt man Theater, bei dem alles improvisiert ist?
Georgi: Indem man sich die Formen und Gattungen anschaut wie Musical oder Bollywood. Und dann analysiert: Was ist das Typische? Es ist viel Handwerk dabei, das man sich erarbeiten muss.
Was ist im Theatersport möglich? Was nicht?
Meyer: Ich bin vorsichtig, wenn Themen nicht einfach in einer lustigen Szene behandelt werden können. Etwa Missbrauch oder Nationalsozialismus. Mit einem geübten Ensemble ist aber vieles möglich. Man kann sehr berührende Geschichten erzählen, poetische oder komplexe.
Das Publikum beim Theatersport ist auffallend jung. Ist es das Theater der Zukunft?
Meyer: Es ist toll, die Leute live so zu berühren, dass sie wieder ins Theater kommen. Und das Schnelllebige hilft uns natürlich dabei.
Georgi: Junge Menschen entdecken es als eine Form, die sie mehr interessiert als das klassische Theater. Und das Publikum, welches das klassische Theater verlässt, findet über diesen Weg wieder einen Zugang.
Die nächsten Theatersport-Termine
anundpfirsich (Zürich) vs. HDTV (High Definition Theatersport Verein, Zürich)
Sa, 18.1., 20.00
ComedyHaus Zürich
www.comedyhaus.ch
Impronauten (Basel) vs.Tiltanic (St. Gallen)
Do, 30.1., 20.00
Fabrikpalast Aarau
www.fabrikpalast.ch
TAP (Theater am Puls) vs. Hidden Shakespeare (D)
Mi, 5.2., 20.00
Gaskessel Bern
www.gaskessel.ch
Tsurigo vs. Theater im Bahnhof Graz
Mi, 5.2., 20.00
Miller’s Studio Zürich
www.millers.ch
Theatersport mit Improphil
Do, 27.2., 19.00
Grand Casino Luzern
www.casineum.ch