Rita hat Visionen und spürt, dass Gott zu ihr spricht. In der Verarbeitung dieser ungewohnten Erfahrungen findet die junge Lehrerin Verständnis und Hilfe bei Peter. Mit ihm gründet sie eine Glaubensgemeinschaft und schart Gleichgesinnte um sich. Ihr bisheriges Leben und das vertraute soziale Umfeld freilich entgleiten ihr, und nach einem Zusammenbruch landet Rita in der Psychiatrie.
Identitätsfindung
Mit «Die Gottesanbeterin» nimmt sich die 28-jährige Zürcher Dramatikerin Anna Papst einem heiklen Thema an, mit dem sie auf besondere Weise konfrontiert wurde. «In meinem Bekanntenkreis hat sich eine Frau in ihrem Glauben radikalisiert», erzählt sie. «Sie gehörte einer charismatischen Freikirche an, wurde immer gläubiger, aber auch immer kränker.» Nachdem sie die Bekannte in der Klinik besucht hatte, beschloss Papst, deren Schicksal literarisch zu verarbeiten.
Mit Identitätsfindung hat sich Anna Papst schon in ihrem letzten Stück befasst. In «Die Schläferinnen» manipuliert eine Frau aus Angst vor Liebesverlust ihre eigene Biografie. Papst nennt aber einen wesentlichen Unterschied: «Das neue Stück beginnt nicht mit einer Identitätssuche. Die Hauptfigur hat ihre Bestimmung in ihrem Glauben bereits gefunden.» Es sei ihr dieses Mal weniger um Identität an sich gegangen. «Ich wollte ein Stück schreiben über das Spannungsfeld zwischen Glaubenserfahrung, Normalität und Gesellschaftsfähigkeit.»
«Frei schweben»
«Die Gottesanbeterin» ist ein Auftragsstück des Zürcher Schauspielhauses. Papst hat ihre Ideen im Gespräch mit den Haus-Dramaturgen Lukas Bärfuss und Andrea Schwieter weiterentwickelt, worauf es zum Auftrag gekommen ist. «Für mich als Autorin ist das ein Traum», sagt sie. «Ich kann frei schweben und weiss gleichzeitig, dass das Stück aufgeführt wird.» Wobei das freie Schweben klar begrenzt ist. Im Gegensatz zu «Die Schläferinnen», die Papst als Masterarbeit gleich selbst inszenierte, bringt Jörg Schwahlen «Die Gottesanbeterin» auf die Kammer-Bühne am Pfauen.
«Natürlich fällt mir das Loslassen schwer», räumt Anna Papst ein. «Aber ich bin gespannt, was ein anderer Regisseur daraus macht.» Als Regisseurin arbeite sie radikaler, wenn das zu inszenierende Stück nicht von ihr selbst sei, sagt die bereits vielbeschäftigte Theaterfrau. «Wenn ich nur Leserin bin und nicht gleichzeitig Autorin, bin ich rücksichtsloser und wahrscheinlich einfallsreicher.» Im Fall der «Gottesanbeterin» sei es deshalb entspannend und bereichernd, wenn sich ein anderer den Kopf über die Inszenierung zerbrechen muss.
Anna Papst hat letzten Herbst breitenwirksam auf ihr Talent aufmerksam gemacht. Im Aarauer Theater Tuchlaube und wenig später in der Roten Fabrik Zürich war «Der Teich» zu sehen, ihre Dramatisierung von Robert Walsers einzigem Mundarttext. Auch in diesem Stück, das sie mit ihrem Produktionsteam papst&co realisierte, stehen Identitätsfindung und Liebesverlust im Zentrum. «Der Teich» ist demnächst noch in Zug zu sehen.
Schon vor der Premiere der «Gottesanbeterin», die ihr wohl einen weiteren Publizitätsschub bescheren wird, ist Anna Papst für die nahe Zukunft mit Projekten reichlich eingedeckt. Mit der Zürcher Theatergruppe Mandarina&Co realisiert sie «Petopia», ein Stück zum Thema Ökologie. Mit einer Aargauer Schulklasse wird sie ein Tanzstück entwickeln, gemeinsam mit einer Choreografin und einem Musiker. «Ich arbeite gerne transdisziplinär», betont sie. «Für mich ist es eine Herausforderung, für ein jeweiliges Stück die stimmige Form und die passenden Mittel zu finden.» Als Grundidee könne ein bestimmtes Thema dienen, ein Text oder ein Bild.
Neues Stück geplant
Auch die Idee zum nächsten eigenen Stück hat Anna Papst bereits im Kopf. «Es wird sich um die Frage drehen, ob ein Kinderwunsch auf jeden Fall erfüllt werden muss.» Keine Frage, von dieser umtriebigen und kreativen Frau wird man noch viel hören.