Sie wollten missionieren und Gutes tun. Der Jesuiten-Orden versuchte vor mehr als 300 Jahren, mit der indigenen Urbevölkerung in Lateinamerika einen utopischen Musterstaat zu errichten, der auf Gleichheit beruhte. Das brachte die Missionare in einen Konflikt mit der spanischen Krone: Denn die geschäftlichen Interessen der Kolonialmacht standen den Idealen einer gerechten Gesellschaft entgegen. Der Schriftsteller Fritz Hochwälder verarbeitete diesen Stoff im Zweiten Weltkrieg in seiner Parabel «Das heilige Experiment». Das Theater Orchester Biel Solothurn bringt das Stück – ohne eine Frauenrolle im Buch – nun in einer neuen Inszenierung auf die Bühne. Katharina Rupp führt Regie, im gleichen Haus, wo 1943 die Uraufführung stattfand. Das Zürcher Schauspielhaus lehnte das Drehbuch ab.
Parabel der Verfolgungen im NS-Staat
Regisseurin Rupp setzt das Stück «historisierend» um, also in der Zeit des 18. Jahrhunderts: «Eine Aktualisierung würde nicht funktionieren.» Sie verzichtet auch darauf, einzelne der 18 männlichen Rollen mit Frauen zu besetzen: «Das ist eine Männergesellschaft, in der es um die Macht geht», sagt sie. Ein Part musste allerdings doppelt besetzt werden, weil das Ensemble zu klein ist.
Fritz Hochwälder (1911–1986) floh wegen seiner jüdischen Herkunft im Sommer 1938 aus Wien in die Schweiz. Er wurde hier interniert, und es war ihm untersagt, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. In seiner Unterkunft im Tessin wandte er sich dem Schreiben zu, verfasste in den ersten Kriegsjahren «Das heilige Experiment». Man kann das Stück als eine Parabel der Verfolgungen im Nazistaat lesen, die einer repressiven Staatsmacht ausgesetzt sind. Hochwälder musste eine verklausulierte Metapher wählen, denn politische Propaganda gegen das deutsche Regime war ihm als Flüchtling untersagt.
«Das heilige Experiment» spielt an einem einzigen Tag, dem 16. Juli 1767 im Jesuitenkloster Buenos Aires. Ein Emissär der spanischen Krone sollte die von den Jesuiten mit der indigenen Gesellschaft geschaffene Gemeinschaft als korrupt entlarven. Der Abgesandte weiss jedoch, dass er damit eine sozial wohl fundierte Ordnung zerstört.
Ein einzigartiges Experiment
Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen den Jesuiten und der weltlichen Macht, die von Rom unterstützt wird. Der Jesuiten-Pater Franz-Xaver Hiestand beschreibt diese Ordnung heute als «Befreiungstheologie avant la lettre». Das lateinamerikanische Experiment war in der Geschichte zwar einzigartig, aber die Jesuiten suchten die Nähe zu fremden Kulturen verschiedentlich wie etwa im 17. Jahrhundert in China, wo die Anpassung an die einheimische Bevölkerung vom Vatikan ebenfalls nicht gerne gesehen wurde.
Stellt sich die Frage, wie man sich eine angeblich utopische Gesellschaft im 18. Jahrhundert vorzustellen hat. Ein aktueller Text des Jesuiten-Ordens beschreibt sie nüchtern: «Die Pater kontrollierten den regelmässigen Gottesdienstbesuch und auch, ob die Arbeiten in umliegenden Landgütern, Feldern und Höfen ordnungsgemäss ausgeführt wurden …» Anscheinend war diese Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung materiell erfolgreich, wenn auch nicht konfliktfrei. Dazu kamen die bekannten Seuchen. Auch wenn der Ansatz aus heutiger Sicht ziemlich paternalistisch erscheint, war er wahrscheinlich im Vergleich zum Rest der spanischen Eroberungen vergleichsweise human.
Unterstützung durch Schweizer Jesuiten
Hochwälder wollte jedoch nicht Geschichte aufarbeiten. Ihm lag mehr an einer künstlerischen Entlarvung des NS-Staats. Regisseurin Katharina Rupp meint dazu: «In der damaligen politischen Atmosphäre verstanden die Theaterbesucher seine Absicht.» Rupp will das Stück jedoch nicht «zu offensichtlich» interpretiert sehen und die spanische Krone mit dem NS-Regime gleichsetzen.
Heute ist der in Zürich verstorbene Fritz Hochwälder weitgehend vergessen. In den 1950ern gehörte er hingegen mit Stücken wie «Die Herberge» oder «Der Unschuldige» zu den regelmässig gespielten Bühnenautoren in Europa. «Das heilige Experiment» ist bis heute sein meist gespieltes Stück geblieben; Regisseur Roland Joffé verfilmte den Stoff 1986 in «The Mission» mit Jeremy Irons und Robert de Niro.
Der Jesuiten-Orden setzt sich heute mit dieser Zeit auseinander, wie Pater Hiestand festhält. Für ihn war diese Episode im 18. Jahrhundert wegweisend bei der Missionsarbeit: «Erst im Jahrhundert danach traten die reaktionären Züge des Ordens zutage.» So unterstützen die Schweizer Jesuiten die neue Inszenierung zum Jubiläum des historischen Endes des Experiments.
Hochwälder scheint seinerzeit diese Episode der Kolonialgeschichte ähnlich gesehen zu haben. So lässt er seinen Abgesandten der Krone sagen: «Weil ihr recht habt, müsst ihr vernichtet werden … Wie lange dauert es noch – und euch gehört der ganze Kontinent! Narren wären wir, wenn wir euch nicht verjagten, solange es noch Zeit ist!» Im Klartext: Was nicht im Sinn der weltlichen Macht ist, hat ausgespielt.
Das heilige Experiment
Theater Orchester Biel Solothurn
Premiere in Solothurn
Sa, 2.9., 19.00
Premiere in Biel
Do, 21.9., 19.30