Bühne - In quälenden Erinnerungen gefangen
In reicher Musik- und Bildsprache bringt Regisseur Michael Simon Max Frischs «Blaubart» im Stadttheater Bern auf die Bühne. Ein Probenbesuch.
Inhalt
Kulturtipp 21/2012
Babina Cathomen
Schweigen, bis der Vorhang fällt. Regisseur Michael Simon setzt im ersten Teil seiner Inszenierung von Max Frischs Roman «Blaubart» auf die nonverbale Ebene. Durch Musik, Tanz und Video lässt er das Publikum die Geschichte um Dr. Schaad erleben, der des Mordes an seiner sechsten Frau Rosalinde angeklagt wird. Schaads Visionen von seiner toten Gattin macht er mit (Tanz-) Bildern sichtbar. Die Zuschauer sehen Schaads letzte Minuten, als dieser mit seinem Auto gegen einen B...
Schweigen, bis der Vorhang fällt. Regisseur Michael Simon setzt im ersten Teil seiner Inszenierung von Max Frischs Roman «Blaubart» auf die nonverbale Ebene. Durch Musik, Tanz und Video lässt er das Publikum die Geschichte um Dr. Schaad erleben, der des Mordes an seiner sechsten Frau Rosalinde angeklagt wird. Schaads Visionen von seiner toten Gattin macht er mit (Tanz-) Bildern sichtbar. Die Zuschauer sehen Schaads letzte Minuten, als dieser mit seinem Auto gegen einen Baum rast – als Flashback läuft der Unfall rückwärts ab.
Kühle Sprache
Erst nach der Pause kommt Max Frischs kühle, reduzierte Sprache zum Zug, die er im Roman «Blaubart» auf die Spitze treibt. Schaad (Stéphane Maeder) wird zwar vom Mord freigesprochen. Immer wieder durchlebt er aber den Prozess, in dem er der einschüchternden Staatsanwältin (Henriette Cejpek) Rede und Antwort stehen muss. Zeuginnen, darunter seine sieben Ehefrauen, treten in kurzen Abständen auf. Sie alle werden von Milva Stark gespielt, die sich als äusserst wandlungsfähig erweist und den Gattinnen in grotesker Überzeichnung eine tragikomische Note verleiht.
Abwechselnd zur Befragung verdeutlichen weitere Szenen die inneren Nöte des Protagonisten: Wiederholt erscheint Schaad die tote Rosalinde – auf der Bühne dreifach dargestellt durch die Sängerin Claude Eichenberger, die Tänzerin Irene Andreetto und den Chor. Dazwischen werden seine Ablenkungsstrategien – Billard spielen, wandern, Sauna – dargestellt. Sie verhallen wirkungslos: Schaad bleibt ein Gequälter, ein von seinen Erinnerungen Verfolgter, der sich schliesslich aus einem diffusen Gefühl heraus zur Schuld bekennt.
Auf der Bühne sind Schaads Gedankensplitter und seine zunehmende geistige Zerrüttung ebenso assoziativ abgebildet wie im Roman, der aus Dialog und innerem Monolog besteht. «Wir übertragen Max Frischs Erzählprinzip auf die Bühne», bestätigt Regisseur Michael Simon. Am Blaubart-Stoff hat ihn Frischs Interpretation des erfolgreichen Mannes gereizt, der mit sich selbst nicht im Reinen ist. «Es ist eine Figur, die wir alle kennen. Dr. Schaad läuft millionenfach in der westlichen Zivilisation herum.» Simon sieht im Roman aus den 80ern auch eine Auseinandersetzung mit heutigen Paar-Beziehungen: «Man hat zwar dazugelernt, aber gleichzeitig ist die Scheidungsrate so hoch wie nie.» In seiner Inszenierung wirft er die Frage auf: «Zu was ist die Liebe fähig?»
Tiefe durch Musik
«Emotionale Tiefe» schafft Simon durch die Musik von Franz Schreker, Krzysztof Penderecki, Arthur Honegger und Richard Wagner. Dank dem neuen spartenübergreifenden Konzept des Stadttheaters Bern kann er das Berner Symphonieorchester miteinbeziehen. Die Musik unterstreicht Schaads Seelenleben oder kontrastiert dazu. Wagners Wesendonck-Lieder etwa, die von der Sehnsucht nach einer unerreichten Liebe handeln, verdeutlichen das Unglück des liebesunfähigen Mannes durch den Gegensatz: Die berührenden Liebeslieder heben sich von Schaads emotionalem Defizit ab. Auch das Bühnenbild versinnbildlicht Schaads Bewusstseinsschichten. Auf vier Stöcken, verbunden durch Treppen, windet sich der Protagonist, verfolgt und bedrängt von seinen Frauen. Simon vergleicht es mit einem Hamsterkäfig, aus dem Schaad nicht mehr rauskommt – gefangen in Erinnerungen.
Frisch als Beobachter
Die Identitätssuche und das Geschlechterverhältnis ziehen sich durch Max Frischs Werk. Auch in seinem letzten Roman «Blaubart» von 1982 stehen diese Themen im Zentrum. Frisch hat sich zur Geschichte von einem realen Mordprozess Anfang der 80er inspirieren lassen. Fast die gesamte Verhandlung, in der ein Goldschmied des Mordes an seiner Frau angeklagt wurde, hat Frisch als Beobachter im Gerichtssaal miterlebt. Daran interessiert hat ihn weniger der Mordfall an sich, sondern «die Technik der Wahrheitsfindung», wie er später sagte. Bis kurz vor Druck lautete der Titel seines Romans denn auch «Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit». Der schliesslich gewählte Titel «Blaubart» bezieht sich auf den Protagonisten Dr. Schaad, der beschuldigt wird, seine Gattin mit einer Krawatte erdrosselt zu haben. Wie der Frauen mordenden Märchenfigur Blaubart sind ihm sieben Frauen abhandengekommen, wenn auch auf andere Weise: Fünf liessen sich scheiden, die sechste wurde ermordet, und die siebte will sich von ihm trennen. Aus diesem Verlust entsteht Schaads diffuses Schuldgefühl, das zu seinen Wahnvorstellungen führt.