Bühne - Heldentreffen im alten Sacklager
An den Tellspielen in Altdorf führen zwei Theatergruppen aus der Schweiz und dem Iran einen Mythentausch durch. Dabei treffen sich Tell und Kaveh, die Freiheitskämpfer beider Kulturen, im «Garten der Helden».
Inhalt
Kulturtipp 15/2012
Jonas Frehner
Schwarz und weiss. Doof und ernsthaft. Schweiz und Iran. Zwei Clowns liefern sich auf der Bühne einen Disput: Der eine überlustig und aufgedreht, der andere ironisch und durchdacht. Zwischen den beiden Schauspielern befindet sich eine unsichtbare Sprachbarriere, die es zu überwinden gilt. Was nach einer Zirkusszene klingt, ist im Sacklager Eyschachen in Altdorf zu sehen. Im Rahmen des 500-Jahre-Jubiläums der Tellspiele inszenieren die Schweizer Theatergruppe «Mass &a...
Schwarz und weiss. Doof und ernsthaft. Schweiz und Iran. Zwei Clowns liefern sich auf der Bühne einen Disput: Der eine überlustig und aufgedreht, der andere ironisch und durchdacht. Zwischen den beiden Schauspielern befindet sich eine unsichtbare Sprachbarriere, die es zu überwinden gilt. Was nach einer Zirkusszene klingt, ist im Sacklager Eyschachen in Altdorf zu sehen. Im Rahmen des 500-Jahre-Jubiläums der Tellspiele inszenieren die Schweizer Theatergruppe «Mass & Fieber» und die iranische Theatergruppe «Don Quixote» das gemeinsame Projekt «Tell/Zahhak».
Darin werden zwei Heldengeschichten miteinander verknüpft: Wilhelm Tell von Schiller und der Schmied Kaveh vom iranischen Dichter Ferdousi. Beide sind Freiheitskämpfer und Anführer eines Volksaufstandes gegen ein als Unrecht empfundenes Regime.
Die Zahhak-Geschichte
So, wie die Schweizer die Geschichte von Tell kennen, ist jedem Iraner die Zahhak-Geschichte aus dem «Buch der Könige» («Schanameh») ein Begriff. Der iranische Dichter Ferdousi verfasste sie vor 1000 Jahren. Sie handelt vom Dämonenkönig Zahhak, den der Teufel auf die Schultern küsste. Daraus wuchsen ihm Schlangen, die jeden Tag mit den Gehirnen zweier Jünglinge zu füttern sind.
Schmied Kaveh lehnt sich gegen die brutale Herrschaft Zahhaks auf, als ihm dieser den Sohn nehmen will, um ihn den Schlangen zu opfern. Ähnlich lehnt sich Tell nach dem Apfelschuss gegen die Tyrannei Gesslers auf. Nicht nur die beiden Geschichten weisen Parallelen auf, die Theatergruppen verwenden auch ähnliche Elemente in ihrem Spiel.
Rollentausch
Seit zwei Jahren arbeiten die Theatergruppen aus der Schweiz und dem Iran gemeinsam am Mythentausch. Beide Gruppen nehmen sich den jeweiligen Helden der anderen Kultur vor und interpretieren dessen Geschichte auf ihre Weise. Daraus entstand eine Inszenierung in drei Teilen: Die Tell-Geschichte von iranischen Schauspielern aufgeführt, die Zahhak-Geschichte vom Schweizer Kollektiv gespielt und anschliessend der «Garten der Helden», den beide Gruppen gemeinsam entwickelt haben.
Niklaus Helbling, Regisseur und Mitbegründer der Theatergruppe «Mass & Fieber», hat mit dieser länderübergreifenden Produktion Neuland betreten. Er sieht die Inszenierung als Experiment, bei dem beide Gruppen von der jeweils anderen Spielweise und Theaterform profitieren.
Diesen Sommer haben sich nun die Gruppen mit ihren bereits eingespielten Teilstücken zu den abschliessenden Proben in Altdorf getroffen. Das alte Sacklager Eyschachen bietet mit seinem hohen Raum eine schöne Kulisse für die spezielle Inszenierung. Eine typisch runde Bühne: Der Iraner steht im Zentrum einer halbrunden Zuschauertribüne. Nach den beiden Stücken Tell und Zahhak verlässt das Publikum gemeinsam mit den Schauspielern diese «Arena» und tritt in den «Garten der Helden» ein. Darin kann sich der Zuschauer frei bewegen, traditionell iranischen Tee trinken und das Aufeinandertreffen der beiden Helden mitverfolgen.
Die Politik ausblenden
Die Mitglieder der Gruppe Don Quixote kennen die Geschichte Tells bereits aus ihrer Kindheit: Sie wurde als Trickfilm im iranischen Fernsehen gezeigt. Bei der nun erarbeiteten Version der Geschichte verwenden die Schauspieler Elemente aus dem «Zurkhaneh» – dem iranischen Krafthaus-Sport: Akrobatik und Disziplin. Der Sportler erlernt einen Heldenkodex, nach dem er sich zu verhalten hat.
Der iranische Regisseur Ali Asghar Dashti sieht in Tell ein Stück weit einen iranischen Helden und kann sich gut in die Geschichte einfühlen. Schwieriger hat sich die Arbeit für den Schweizer Regisseur Niklaus Helbling gestaltet: «Neben der Umstellung auf die Rundbühne mussten wir uns in einen unbekannten Mythos einarbeiten, den wir den Schweizer Zuschauern – im Gegensatz zur Tell-Geschichte – erst noch erzählen müssen.»
Die beiden Regisseure verzichten auf politische Aussagen, obwohl das Thema Befreiung gerade in Iran aktuell ist, wo Meinungsfreiheit und Bürgerrechte eingeschränkt sind. Diese Aus- klammerung der politischen Komponente soll spätere Aufführungen in Iran möglich machen.