Bühne - Familienschlachten im Ehebett
Die Inszenierung von Tennessee Williams’ Stück «Die Katze auf dem heissen Blechdach» im Theater Biel Solothurn spart im Gegensatz zum Filmklassiker keine Tabuthemen aus.
Inhalt
Kulturtipp 06/2012
Babina Cathomen
«Das Leben ist kannibalisch. Das eine Ich frisst das andere. Immer ist jemand dabei, an einem anderen zu nagen, aus Neid, aus Profitgier, aus Angst.» So düster hat der US-amerikanische Autor Tennessee Williams die Gesellschaft in seinem Stück «Die Katze auf dem heissen Blechdach» aus den 50ern beschrieben. Und damit setzt er auch die Massstäbe, die bei seinen Protagonisten gelten, der reichen Familie Pollitt in Mississippi. Zum 65. Geburtstag des Patriar...
«Das Leben ist kannibalisch. Das eine Ich frisst das andere. Immer ist jemand dabei, an einem anderen zu nagen, aus Neid, aus Profitgier, aus Angst.» So düster hat der US-amerikanische Autor Tennessee Williams die Gesellschaft in seinem Stück «Die Katze auf dem heissen Blechdach» aus den 50ern beschrieben. Und damit setzt er auch die Massstäbe, die bei seinen Protagonisten gelten, der reichen Familie Pollitt in Mississippi. Zum 65. Geburtstag des Patriarchen Big Daddy (Günter Baumann) haben sich alle auf dem Landgut eingefunden. Doch statt trauter Familienidylle herrschen Missgunst und Rücksichtslosigkeit vor.
Wie eine Katze auf dem heissen Blechdach fühlt sich etwa Margaret, die titelgebende Figur. Ihr alkoholsüchtiger Ehemann Brick hegt ihr gegenüber schlechte Gefühle, Kinder sind keine in Sicht, und auch das Erbe des todkranken Big Daddy droht ihr durch die Lappen zu gehen. Allen Widrigkeiten zum Trotz rafft sie sich immer wieder auf und kämpft weiter für ihre Ziele.
Handfester Ehekrach
Bei einem Probenbesuch in Solothurn befinden sich Margaret (Margit Maria Bauer) und Brick (Max Merker) mitten in einem Ehekrach. Während sie ihn mit allen Mitteln verführen will, rät der desinteressierte Gatte ihr, sich doch einen Lover zuzulegen. Da nützen auch Big Mamas (Barbara Grimm) gut gemeinte Ratschläge nichts. Geschweige denn das Kindergeschrei, das von aussen hereindringt und ihr penetrant die vermeintliche Vorzeigefamilie vor Augen führt: Bricks Bruder Gooper (Jan-Philip Walter Heinzel), seine Frau Mae (Katja Tippelt) und deren fünf lautstarke Kinder.
Regisseur Dominik von Gunten rückt das Ehebett ins Zentrum des Bühnengeschehens. Dort werden die meisten Konflikte ausgetragen. «Es ist der komprimierte Altar von all dem, was im Stück verhandelt wird. Es reflektiert etwa die Forderung, darin Kinder zu machen, oder den Ort von Big Daddys Sterben. Das Bett hat ausserdem den beiden homosexuellen ehemaligen Gutsbesitzern gehört», führt er aus. Das Thema der Homosexualität hat Williams in der Figur von Brick angedeutet, der nach dem Tod seines Freundes Skipper dem Alkohol verfällt. Im Filmklassiker von 1958 mit Paul Newman und Elizabeth Taylor wird dieses Thema allerdings zum Tabu. Bereits Regisseur Elia Kazan brachte mit der Welturaufführung 1955 am Broadway eine beschönigte Version auf die Bühne.
Im Gewächshaus
Von Gunten geht mit seiner Inszenierung zurück zu Williams’ erster Fassung. «Im Stück gibt es keine positiven Entwicklungen, das wäre verlogen», meint er. «Jedes Familienmitglied ist Teil eines Lügengebäudes.» Passend dazu drückt für ihn das Bühnenbild von Ansgar Silies eine «Landschaft für Familienschlachten» aus. Rund ums Ehebett stehen mit etlichen Plastikpflanzen Versatzteile eines Gewächshauses, das sich auf Big Daddys lukrative Plantage bezieht. «Wir wollten eine künstliche Welt schaffen, die das Aufeinanderprallen der Figuren noch mehr provoziert.» Das Ehebett steht so mitten im schwül-warmen Gewächshaus – dort, wo die Konflikte am Dampfen sind.