Ein Theater im Theater. Regisseur Bastian Kraft, Shootingstar der deutschen Theaterszene, bringt das legendäre magische Theater aus dem «Steppenwolf» auf die Bühne. Eigentlich ist der 1927 erschienene Klassiker von Hermann Hesse kaum umsetzbar. Denn wie stellt man eine vielfach gespaltene Persönlichkeit dar? Lassen sich Träume, psychotische Anfälle und Kopfkino des (Anti-)Helden Harry Haller schauspielerisch verwirklichen? Bastian Krafts Antwort: «Ja, man kann das. Doch der Stoff ist herausfordernd, da man den inneren Prozess umsetzen muss, den dieser Mensch durchmacht.»
Kraft setzt dazu eine runde Bühne ein, die auf mehreren Ebenen in verschiedenen Geschwindigkeiten drehbar ist: «Die Bühne lässt sich mit dem Kopf von Harry Haller vergleichen, in dem sich die ganze Geschichte abspielt.» Mit ihrer Bewegung ist sie ein Sinnbild für den Gedankenfluss, die «erlebte Rede», die den Roman prägt. So lassen sich die verschiedenen Persönlichkeiten des Hauptcharakters plausibel darstellen.
H.H., Harry Haller oder Hermann Hesse, vergleicht sich gerne mit einem heimatlosen Steppenwolf. Mit einem Überlegenen, der unfähig ist, sich in der Gesellschaft einzuordnen. Genie und Wahnsinn liegen bei Harry, der am meisten mit sich selbst zu kämpfen hat, dicht beieinander. Um diese komplizierte Persönlichkeit zu erfassen, bewegen sich fünf Schauspieler über die drei Ebenen der Bühne. Springen mal hoch, mal runter, laufen gegen oder in Drehrichtung. Eine Dynamik entsteht, die das Durcheinander im Kopf des Hermann Hesse, beziehungsweise seines Alter Ego Harry Haller, ausdrückt. Die Schauspieler schlüpfen in unterschiedliche Rollen und treiben Harry Haller in den Wahnsinn.
Sie kommentieren ihn, stellen ihn infrage. Man kann sie mit dem Chor der griechischen Tragödie vergleichen, der in der Antike das Bühnen-Geschehen verständlich machte.
In der Mitte des Spiels thront ein Sessel – eine Art Analysecoach. Ein Schauspieler führt darauf einzeln eine Selbstanalyse durch und lässt Erinnerungen vor seinem inneren Auge vorbeiziehen, die sich auf den unteren Stufen der Bühne abspielen.
Bekannter Stoff
Der 32-jährige Bastian Kraft war zuletzt am Hamburger Thalia-Theater tätig und führt nun erstmals in Zürich Regie. Der deutsche Regisseur hat sich schon in früheren Inszenierungen mit Identitätsproblemen befasst, mit gespaltenen Persönlichkeiten und facettenreichen Figuren. Freunde haben ihn darauf hingewiesen, dass ihn Hesses Text interessieren könnte. Komischerweise hatte Kraft den Klassiker nicht wie viele andere bereits in seiner Jugend verschlungen. «Gerade wegen der Identitätsfrage wollte ich den ‹Steppenwolf› auf die Bühne bringen. Nicht nur Haller, sondern alle Menschen tragen verschiedene Personen in sich», beschreibt Kraft seine Motivation.
Er findet es spannend, dass ein fast hundertjähriges Buch heute noch so revolutionär anmutet, wenn es um die Identitätsfrage geht. «Jeder kann sich ein virtuelles Ich parallel zum echten Leben schaffen und sich damit darstellen, wie es ihm beliebt», präzisiert der Regisseur.
Verfremdet
Krafts «Steppenwolf»-Inszenierung – verfasst vom deutschen Dramaturgen Joachim Lux – ist verfremdet, ganz im Sinn des Romans: So spielen sich die Vorkommnisse im magischen Theater (dritter Romanteil) als eine Art Stummfilm ab. Musik, schwarz-weisse Texttafeln und die Bewegungen der Schauspieler ersetzen den gesprochenen Text. Wenn der Zuschauer im Schauspielhaus die Box betritt, soll er nämlich selbst in ein magisches Theater eintauchen – wie der Leser des «Steppenwolf».
«Der Steppenwolf»: Einlass nur für Verrückte
Mit 48 Jahren kehrt Harry Haller zurück in die Stadt, die er schon mal besucht hat. Zuvor ist er weit gereist – arbeitslos, familienlos und heimatlos geworden. Haller lebt im Zwiespalt mit sich selbst: Einerseits ist er ein Bildungsbürger und hat Geld. Andererseits wütet in ihm der Steppenwolf, dieses raue und gesellschaftsscheue Tier. Er ist ein Einzelgänger, der sich als «den Bürgern überlegenes Genie» und politischer Revolutionär fühlt. Diese gespaltene Persönlichkeit durchzieht den Roman – immer mehr Seiten der Hauptfigur kommen ans Licht. So etwa Hermine, sein weibliches Pendant, das ihn in die Wonnen des Lebens einführt.
Haller kämpft mit sich selbst – ein grosser Teil des Romans spielt sich in seinem Kopf ab: Erinnerungen, Träume und Wünsche vermischen sich. Als Haller einen Hinweis auf das «Magische Theater» zugesteckt bekommt, geht der Wahnsinn richtig los: Er nimmt Drogen, taucht ein in die Windungen seiner Seele – alles gerät ausser Kontrolle.
Seit der Veröffentlichung wur-de der Roman kontrovers beurteilt: Vor allem die 68er-Generation betrachtete den «Steppenwolf» als Bibel zur Selbstverwirklichung, die beschreibt, wie unverstanden man sich von der Gesellschaft fühlt. Konservative hingegen erkannten darin eine Anstiftung zum Drogenmissbrauch und zu sexuellen Abartigkeiten. Sehr umstritten ist auch die literarische Qualität des Stoffs, die früher positiver eingeschätzt wurde als heute.
Hesse hat 1927 einen Klassiker veröffentlicht, der ihm später mit zum Literaturnobelpreis verholfen hat.
[Buch]
Hermann Hesse
«Der Steppenwolf»
277 Seiten
(Suhrkamp 2012).
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