«Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält, oder eine ganze Reihe von Geschichten.» Dieses menschliche Verhalten treibt Max Frisch im Roman «Mein Name sei Gantenbein» (1964) auf die Spitze. Er lässt seinen Ich-Erzähler «Geschichten anprobieren wie Kleider»: etwa Gantenbein (in der Bühnenadaption: Lukas Holzhausen), der nach einem Unfall beschliesst, die Rolle des Blinden zu spielen. Dadurch erfährt er, wie ihn die anderen wahrnehmen – und wie viel die andern ihm von sich preisgeben. Und vor allem versucht er dadurch, seine Beziehung zu Lila (Miriam Maertens) zu festigen. Denn in der Rolle des Blinden kann er ihre Affären ignorieren, und sie muss sich ihm gegenüber nicht verstellen.
Identitätssuche
Der Ich-Erzähler probiert ausserdem die Rolle des grossen Frauenverführers Enderlin (Michael Neuenschwander) aus, der mit dem Älterwerden hadert. Oder die des verlassenen Mannes Svoboda (Siggi Schwintek), der mit dem Trennungsschmerz umzugehen versucht. Die Gedanken dieser drei Männer kreisen um eine Frau: Die Schauspielerin Lila, Projektionsfläche für die Identitätssuche der Männer.
In Frischs Roman fand auch seine gescheiterte Beziehung zu Ingeborg Bachmann ihren literarischen Ausdruck. Nach seinen grossen Werken «Stiller» und «Homo faber» hat er im «Gantenbein» nochmals seine Lebensthemen aufgegriffen: Die Frage nach der Identität, die Beziehung zwischen den Geschlechtern, Liebe, Altern, Tod. In einer assoziativen Erzähltechnik wechselt er zwischen verschiedenen Erzählsträngen und Perspektiven. Kein einfaches Unterfangen, diesen komplexen Roman auf die Leinwand oder die Bühne zu bringen. Ein Filmprojekt von 1965, das auf einer Episode des Romans basierte, ist unter anderem an Differenzen zwischen Max Frisch und Regisseur Erwin Leiser gescheitert.
Der tschechische Regisseur Dusan David Parizek wagt nun eine Bühnenadaption für das Schauspielhaus Zürich. In seiner Inszenierung stellt er das Zwischenmenschliche ins Zentrum. «Es handelt sich aber nicht um ein theoretisches Spiel, sondern Parizek entwirft ein tragikomisches Beziehungskarussell dreier Männer um eine Frau – mit all ihren existenziellen Nöten», verspricht Dramaturgin Gwendolyne Melchinger. Als fünfte Instanz auf der Bühne kommt Max Frischs kommentierendes und reflektierendes Alter Ego hinzu – abwechselnd gespielt von allen vier Schauspielern. Mit Videoprojektionen und Musik werden die Geschichten der Figuren auf einer weiteren Ebene sichtbar.
Leben im Konjunktiv
Parizek verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven, die Frisch in seinem Roman einnimmt, in seinem schlichten Bühnenbild: Eine Spielfläche mit zwei verschiebbaren Wänden. Und so entpuppt sich der Roman schliesslich doch als geeigneter Bühnenstoff. «Ich stelle mir vor ...», beginnt der Ich-Erzähler jeweils seine Rollenspiele und schlägt damit auch den Bogen zum Theater, wie Melchinger anmerkt: «Dieses Leben im Konjunktiv, das Schlüpfen in verschiedene Rollen und das Erfinden von Geschichten ist das Theaterthema schlechthin.»
Mein Name sei Gantenbein
Premiere: Do, 16.1., 20.00
Schauspielhaus Zürich