Dieses Stück ist wie zugeschnitten auf die heutige weltpolitische Lage. Das habe er nicht ahnen können, sagt Florian Rexer, der «Die Physiker» auf das diesjährige Programm der Schlossfestspiele Hagenwil setzte. Der Regisseur wünscht sich sogar, es würde sich anders verhalten. «Friedrich Dürrenmatt hingegen», sagt der 41-Jährige, «würde wohl darüber lachen.» Über den Wahnsinn der Welt, der deutlich zugenommen hat, seit er sein Stück 1962 im Schauspielhaus Zürich zur Uraufführung brachte. Über die Absurdität, dass derzeit Menschen die Welt regieren, die absolut nichts können, wie Rexer sagt.
Vom Zürcher Anwalt Peter Nobel, einem guten Freund Dürrenmatts, hat sich Rexer über den 1990 verstorbenen Autor informieren lassen. «Dürrenmatt konnte sich verschliessen wie ein Fels», erzählt Rexer. Aber er habe auch lebhaft Geschichten erzählen können. Die Treffen in der St. Galler Erker-Galerie hatten Dürrenmatt einst selber aufs Schloss Hagenwil geführt. Und so wird auch Peter Nobel im Sommer anreisen, um Rexers Version des Stückes zu sehen.
Eine Leiche und ein paar Verrückte
Bereits die erste Szene werde ihn in den Alltag des Irrenhauses katapultieren, sagt Rexer. Eine Leiche wird auf der Bühne zwischen den kühlen Schlossmauern liegen, die etwas Beengendes haben wie die Gemäuer einer Anstalt. Von irgendwoher wird das durchdringende Heulen der Polizeiautos zu hören sein, und bald schon wird der Kommissar auf die Bühne treten, schweren Schrittes, um den Mord an der schönen Pflegerin aufzuklären. Er wird von einem Kranken zum nächsten gehen und auch Ärzte und Krankenschwestern unter die Lupe nehmen.
Irgendwann wird Johann Wilhelm Möbius dem Kommissar Rede und Antwort stehen müssen, einer der drei Physiker, die sich nur zum Schein ins Irrenhaus einweisen liessen. Möbius ist derjenige, der die Weltformel entdeckt hat. Eine Formel, welche die gesamte Menschheit vernichten könnte. Nur, um die Menschen davor zu bewahren, spielt er einen Verrückten.
Aber noch andere haben es auf die Formel abgesehen: zwei weitere Physiker, die sich als Einstein und Newton ausgeben, sowie eine verrückte Oberärztin.
Eine groteske Tragikomödie
Jan Opderbeck, der in Hagenwil seine siebte Saison spielt, wird als Möbius zu sehen sein. Die Figur fasziniert den 37-Jährigen vor allem deshalb, weil sie sich dazu entschliesst, zum Wohle der Menschheit ihr Familienleben aufzugeben und in einem Irrenhaus zu leben. «Ich habe selbst Familie und könnte mir nie vorstellen, diese für einen höheren Zweck zu verlassen», sagt er. Deshalb hat er grossen Respekt davor, die Gefühle, die Möbius zu diesem Schritt drängen, auf der Bühne darzustellen. Dazu kommt, dass die Figur nicht allzu tragisch herüberkommen dürfe, sagt Opderbeck. «Das Stück ist eigentlich eine Komödie, wie Dürrenmatt dazugeschrieben hat.»
Florian Rexer würde das Stück allerdings nicht als Komödie bezeichnen. Dafür sei es zu kritisch. «Es ist eine Groteske.» Heisst: eine Darstellung, in der Gegensätze wie Grauen und Komik in eine Einheit gebracht werden. Denn die Wissenschaft ist selbst im Irrenhaus nicht sicher vor dem Wahnsinn der Welt.
Rexer legt Wert darauf, dass die Schauspieler sich in die Figuren einfühlen können. «Ich möchte lebendige Menschen auf der Bühne sehen, ich möchte ihnen glauben können.» Zudem will er Stücke nicht künstlich verlängern, da er selber Theaterabende oft als zu lange empfindet. Er bevorzuge «knackige Inszenierungen». Seine Aufführungen werden ziemlich werkgetreu ausfallen. «Jede Textveränderung muss mit dem Verlag abgesprochen werden», erklärt er. Er möchte ohnehin nicht zu viel an der Vorlage herumschrauben: «Wenn ein Stück gut ist, braucht es das nicht. Und die Geschichte sowie Dürrenmatts Sprache sind grossartig!»
Auch Jan Opderbeck zeigt sich begeistert: «Jeder einzelne Satz hat seinen eigenen Sinn, nichts ist zufällig.» Der Schauspieler freut sich auf die Produktion, obwohl sie anstrengend sein wird. Denn auf dem Wasserschloss fehlt die Infrastruktur einer Theaterbühne. «Man fängt jedes Jahr bei null an.» Doch die Atmosphäre beschreibt er als freundschaftlich und familiär.
Innere Machtkämpfe einer Irrenärztin
Von einem «Familienverhältnis» spricht auch Bigna Körner (43), welche die verrückte Chefärztin Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd spielt. «Eine vielschichtige Figur», sagt sie. Mathilde von Zahnd trage mit sich selber Machtkämpfe aus, obwohl sie gegen aussen in jedem Moment sowohl überheblich als auch überzeugend wirke. Auch Körner spielt zum siebten Mal auf Schloss Hagenwil, und das «Familienverhältnis» darf man bei ihr wörtlich nehmen: Diese Saison steht sie zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern auf der Bühne.
Die Physiker
Premiere: Mi, 9.8., 20.30
Wasserschloss Hagenwil bei Amriswil TG
www.schlossfestspiele-hagenwil.ch