Die 90-jährige Dame ist sich sicher: «Ich nehme mir dereinst das Leben.» Sie sprach mit der 31-jährigen Appenzeller Regisseurin Annina Sonnenwald über ihren Plan: «Sobald sich Hilflosigkeit abzeichnet, gehe ich.» Die Frau erlebte vor Jahren den schmerzvollen Tod ihrer Mutter; und ihr Mann erschoss sich, als er unheilbar krank war. «Das war sein letztes Geschenk für mich, denn er wollte kein Pflegefall sein.»
Fiktive Beerdigung
Diese Geschichte brachte Sonnenwald auf die Idee, ein Theaterstück mit alten Leuten über den Tod zu inszenieren. Mit sieben Frauen, einem falschen Totengräber und einem richtigen Organisten lädt die Regisseurin jetzt ins Krematorium Baden ein.
Eine fiktive Beerdigung erwartet die Besucher, sie spielen mit ihrer Anwesenheit die Trauergemeinde gleich selbst. Der Tod einer jungen Frau ist zu beklagen, sie liegt im Sarg, ihr Lebenslauf wird in Form einer der üblichen Abdankungsreden gewürdigt – mit allen Klischees wie der berühmten «letzte Reise, auf der wir sie jetzt begleiten». Dazu gibt es eine Einspielung von Papst Franziskus, der letzten Herbst die Stadt Assisi besuchte und dort eine fromme Ansprache hielt, deutsche Übersetzung inklusive. Und als Parodie auf diese rituellen Handlungen werden Persiflagen von Sprüchen eingeflochten im Stil von: «Der letzte Schrei ist der schönste Tod.» Nach der inszenierten Beerdigung gehen die Besucher zum Krematorium, wo Betriebsleiter Andreas Gerber wartet. Er führt die Besucher durch das Haus und schiebt den Sarg in den Ofen; durch ein Guckloch kann man das lodernde Feuer beobachten.
«Lassen sich Leute in Trauer versetzen?», fragt Annina Sonnenwald im Gespräch über ihre Arbeit. Noch fällt es ihr schwer, die Reaktionen der Besucher abzuschätzen, wahrscheinlich wird sie individuell ausfallen – je nach Gemütslage. Sonnenwald war in ihrem jungen Leben erst zweimal mit dem Tod konfrontiert: Einmal bei Hinschied ihres Grossvaters und beim Suizid eines Freundes.
Die Regisseurin ist bereits durch eine aussergewöhnliche Inszenierung aufgefallen, als sie vor einem Jahr mit Gefangenen der Haftanstalt Lenzburg Theater spielte. Auch damals gehörte zum Stück eine Führung durch die Anstalt. Und jetzt ist sie mit den Vorbereitungen eines weiteren Knaststücks in Lenzburg beschäftigt, das im Winter zu sehen sein wird.
Keine Angst vorm Tod
Annina Sonnenwald freut sich, dass sie die Verantwortlichen von ihrem Vorhaben überzeugen konnte, ohne dass sie Hindernisse in Kauf nehmen musste. Die politische Behörde habe etwas länger gebraucht als die Krematoriumsleitung. Aber sie habe stets die Bereitschaft gespürt, dass man dieser eher ungewöhnlichen Örtlichkeit den Schrecken nehmen will.
Keine Angst vor dem Tod sei auch bei der Arbeit mit den Seniorinnen spürbar gewesen. Sie würden dem dereinst Kommenden gefasst entgegenblicken, sagt Sonnenwald. Und, ach ja: Die 90-Jährige wird im Theaterstück erzählen, wie sie ihrem Leben einmal ein Ende zu setzen gedenkt.
Wer hat Angst vorm Tod?
Premiere: Mi, 23. 4., 20.00
Friedhof Liebenfels, Krematorium Baden
Zehn weitere Aufführungen, Platzzahl auf 50 Personen beschränkt.
Reservationen: 056 200 84 84
www.anninasonnenwald.ch