Die Interviewzeit mit Felicia Zeller ist um. Nach 25 langen Minuten, in denen mehr geschwiegen als gesprochen wurde. Was das Stück «X-Freunde» aussagen soll? Nichts. Was für sie Freundschaft sei? Keine Ahnung. Ihr Leben? So langweilig wie jenes der anderen Menschen auch. Zum Schluss aber sagt die Schriftstellerin doch noch etwas: «Entschuldigen Sie, dass ich so patzig war.» Sie tauge einfach nicht für ein Interview. Die 47-Jährige schickt dem Gespräch ein paar Texte hinterher, in denen sie redseliger ist. Oder besser gesagt – schreibseliger. Sie ist zwar mündlich eine stille Person, hat aber schriftlich etwas zu sagen.
Eine Begegnung im Zug gab den Ausschlag
Vom Telefongespräch mit der deutschen Autorin bleibt zumindest eine kleine Geschichte übrig. Und zwar jene, die am Anfang des Stücks «X-Freunde» steht, das am 14. September in der Lokremise in St. Gallen Premiere feiern wird.
Da war die Begegnung mit einer Frau, die sich in einem Schnellzug gegenüber der Autorin hinsetzte. Die Frau breitete etliche Papiere vor sich aus und begann zu telefonieren. Pausenlos. Während all der Gespräche machte sie sich Notizen und versuchte, Listen zu erstellen. Das Gekritzel glich jedoch von Viertelstunde zu Viertelstunde weniger einer Liste – es war pures Chaos. Je mehr die Frau Ordnung zu schaffen versuchte in ihren Gedanken, desto stärker verhedderte sie sich. «Es war ein ständiger Kontrollverlust mit dem Willen, die Kontrolle zu bewahren.»
In diesem Chaos erkannte sich Felicia Zeller wieder. Es erinnerte sie an sich selber und an viele ihrer fast ausgebrannten Freunde, die alle viel zu viel arbeiteten und dauernd an mehreren Orten gleichzeitig sein sollten. Also stieg sie aus dem Zug und schrieb das Theaterstück «X-Freunde», das sie auch als «Selbstporträt» bezeichnet. Ein stark überzeichnetes Porträt der heutigen Generation Mensch.
Da ist Peter Pilz, ein Bildhauer, der ständig an seine Arbeit denkt, aber wegen zu hoher Ansprüche an sich selbst nicht mehr zum Arbeiten kommt. Da ist Anne Holz, die immer noch etwas zu erledigen hat in ihrer Agentur, weil es immer was zu verbessern gibt. Und da ist Holger Holz, ihr Mann, arbeitslos, aber genauso von der Arbeit und den Terminen seiner Frau ausgelastet wie sie selber. Drei Arbeitssüchtige, die vor lauter Arbeit und Nicht-Arbeit vergessen, zu leben. Sie wissen zwar, dass sie etwas ändern müssten, finden aber nicht aus ihrem Hamsterrad heraus. Sie nehmen es sich immer wieder vor, sodass auch dies ein unerledigter Punkt auf der To-do-Liste bleibt.
Immer online und erreichbar
In der ersten Szene auf der Bühne perlt der Champagner in den Gläsern. Sie wollen auf Anne Holz’ neuen Job anstossen. Aber dazu kommt es nicht, weil diese ständig telefoniert. Auch die Herren unterbrechen immer wieder ihre Monologe, die sie sich entgegenschleu-dern – ohne den angefangenen Satz danach zu Ende zu führen. Um dieses «Unterbrechen» geht es Felicia Zeller in ihrem Stück «X-Freunde» ebenfalls: «In der heutigen Zeit wird man ständig unterbrochen. Vom Telefon, von einem Mail, von einer Pop-up-Nachricht, von einem X-Freund oder auch von einem eigenen Gedanken.»
Die Autorin bezeichnet die heutigen Menschen in ihrem Stück als die «Generation Beissschiene». Immer online und erreichbar, mit viel mehr Informationen vollgepumpt als frühere Generationen, sagt Felicia Zeller. So gestresst eben, dass sie Beissschienen brauchen, um nachts nicht ihre Zähne kaputt zu knirschen.
Felicia Zeller ist in Stuttgart zur Welt gekommen. Sie schrieb als Jugendliche Gedichte und Texte – und ahmte in diesen Autoren nach, die ihr gefielen. Nach der Matur studierte sie an der Filmakademie Baden-Württemberg, weil sie, wie sie heute sagt, «schlecht informiert» war und das Gefühl hatte, noch eine seriöse Ausbildung machen zu müssen. Die schlechteste Idee war das nicht: Mit ihrer Diplomarbeit, der CD-Rom «Mut der Ahnungslosen», hat sie Aufsehen erregt und Kontakte für später geknüpft. Heute lebt die Schriftstellerin mit ihrer Tochter in Berlin-Neukölln, schreibt Theatertexte, Prosatexte und Hörspiele. Sie hat zahlreiche Preise gewonnen; zuletzt wurde «X-Freunde» als «Stück des Jahres 2013» ausgezeichnet.
Schreiben als Lebensersatz
Für gewöhnlich arbeitet Felicia Zeller in ihrer Küche. Diesen Sommer aber war es so schwül, dass sie ihr Büro auf das Tempelhofer Feld verlegte. Ihren Alltag kommentiert sie deshalb gerne mit den Worten: «Ich habe ewigen Urlaub und leide daran.» Das meint sie ein bisschen ernst. «Die Vorarbeiten – das Ideensuchen und Recherchieren – mag ich nicht. Sobald ich zum Schreiben komme, liebe ich es.» Denn Schreiben sei für sie ein Lebensersatz. Was heissen soll: Man kann auch in seinen Geschichten leben, in anderen Realitäten als in der vorgefundenen.
Nur beim Stück «X-Freunde» nützt ihr dies nichts. In diesem Schauspiel baut Felicia Zeller eine Welt auf, wie wir sie kennen. Auch das ist in ihren Nachsendungen zu lesen: Nach der Aufführung kämen jeweils Zuschauer auf sie zu und sagten, wie gut sie die Realität getroffen habe, obwohl sie ihr Stück als «Komödie» betrachtet und ihre Sprache als «künstlich» beschreibt. Manchmal sind Geschichten realer als die Wirklichkeit.
X-Freunde
Premiere: Do, 14.9., 20.00
Lokremise Theater St. Gallen
Regie: Sophia Bodamer