Bühne - «Darf ich lachen? – Soll ich es ernstnehmen?»
Ein Filmstoff wird zum Bühnenstück: Das Luzerner Theater bringt mit «Idioten» eine Inszenierung nach dem kontroversen Film von Lars von Trier. Ein Stück zwischen Ernst und Komik mit einer Art politischem Anspruch.
Inhalt
Kulturtipp 18/2012
Urs Hangartner
Als Lars von Triers Film «Idioten» 1998 herauskam, waren die Reaktionen kontrovers. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» taxierte das Werk als «Ärgernis». Wohlwollend äusserte sich hingegen die «Neue Zürcher Zeitung», während die «Süddeutsche Zeitung» befand, «in seinen besten Momenten» sei der Film «lustig, schockierend und entlarvend zugleich».
Worum geht es? Eine Gruppe v...
Als Lars von Triers Film «Idioten» 1998 herauskam, waren die Reaktionen kontrovers. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» taxierte das Werk als «Ärgernis». Wohlwollend äusserte sich hingegen die «Neue Zürcher Zeitung», während die «Süddeutsche Zeitung» befand, «in seinen besten Momenten» sei der Film «lustig, schockierend und entlarvend zugleich».
Worum geht es? Eine Gruppe von jungen Leuten in Dänemark probt den Aufstand gegen die normierte Gesellschaft. Sie finden sich in einem schönen Landhaus zusammen und spielen der Welt (und sich selber) etwas vor: Alle sind «Idioten», Behinderte eben. Draussen in der Wirklichkeit provozieren sie mit ihrem Tun, sie leben eine Art Kreativität aus mit ihrem «Rollenspiel», Gruppensex inklusive. Das Experiment scheitert am Ende, weil sich in der Gruppe neue Machtverhältnisse herausbilden.
Der dänische Regisseur Lars von Trier hat mit «Idioten» einen sogenannten «Dogma»-Film gedreht. Dabei orientierte er sich am Zehn-Gebote-Manifest, das er zusammen mit Mitstreitern 1995 proklamierte. Die Regeln verlangten etwa das «Reinheitsgelübde» von den Regisseuren, dass nur mit Handkamera gefilmt werden darf («Wackelbilder»). Die Verwendung von Requisiten war untersagt, ebenso künstliche Beleuchtung. Natürlich gab es bald Regelverstösse; der «Dogma»-Bewegung war kein langes Leben beschieden. Lars von Trier selber hat in der Folge wieder aufwendig-üppiges Kino gemacht, zuletzt mit dem Weltuntergangsfilm «Melancholia».
Nachgespielter Film?
Kommt nun mit den Luzerner «Idioten» der nachgespielte «Dogma»-Film auf die Bühne? «Keineswegs», sagt der aus Polen stammende Regisseur Krzysztof Minkowski (32). Er inszeniert zum zweiten Mal in Luzern als Gastregisseur. Bei den Proben sei es wichtig gewesen, «nicht in die Falle zu geraten, den Film nachzuspielen. Das wäre banal. Es braucht auf der Bühne eine eigene Spielweise.» Aber auch: «Es ist immer noch die Geschichte des Films, mit dem Thema, den Figuren, die versuchen, sich eine neue Welt zu bauen.» Bei den Proben kam es immer wieder zu Diskussionen über Behinderte: Darf man Behinderte imitieren? Für Minkowski ist das Stück ein freies Spiel von der Vorstellung, wie sich Behinderte benehmen. Und Minkowski betont: «Provokation war kein Regiekonzept.»
Die Figuren stellen die Norm der herrschenden, kleinbürgerlichen Gesellschaft infrage. Hier setzt die politische Interpretation an: «Es ist politisch im mentalen Sinn», sagt Minkowski. Das sei weit davon entfernt, ins Fahrwasser des «handfesten» politischen Theaters zu geraten, wie es in den 1970er-Jahren praktiziert wurde. «Es ist dennoch hochpolitisch: Die Figuren im Stück wollen diese Welt, diese Wirklichkeit verändern. Dass sie am Ende scheitern, gehört zu einem Experiment.» Man beschäftige sich hier, so Minkowski, «mit dem nichtnormierten Menschen», mit «Deoptimierung», was ganz im Gegensatz stehe zum heute vorherrschenden Karrieredenken mit optimierten Lebensläufen, wo man sich anpasst, um möglichst weit zu kommen.
Das Stück wechselt zwischen Ernst und Komik. Allein auf die Komikebene abstellen wollte man nicht: «Es wäre furchtbar, einen banalen Komödienabend mit den ‹Idioten› zu machen», erklärt Minkowsi. Er ist sich der Gratwanderung bewusst: «Darf ich lachen? Soll ich es ernst nehmen?» Das Publikum kann für sich entscheiden. In der Luzerner Inszenierung sind die Zuschauer hautnah am Agieren des Ensembles. Das unterscheidet das Stück von der Filmvorlage: Es wird nicht geschnitten. «Man kann selbst wählen, mit welcher ‹Kamera› man es sieht.»
Regisseur Minkowski stützt sich bei seiner Arbeit auf eine vorhandene, deutsche Theaterfassung. Er selber kennt den Film in- und auswendig, er hat «Idioten» schon bei seinem Erscheinen 1998 gesehen und inzwischen ab DVD zigmal geschaut. Die Mitglieder des achtköpfigen Luzerner «Idioten»-Ensembles konnten wählen, ob sie den Film mit Blick auf ihre Bühnenarbeit sehen oder es bleiben lassen wollen.
Für Krzysztof Minkowski geht es nach Luzern wieder zurück nach Berlin. Dort macht er «Knast-Theater», was er wiederholt schon getan hat. Als Nächstes steht für ihn in einem Gefängnis «Die Dämonen» nach Dostojewskis Roman an.
[DVD]
«Idioterne»(«Idioten»)
Regie: Lars von Trier
DK 1998, 110 Minuten
2 DVD,
viel Bonus-Material
(Arthaus 2006).
[/DVD]