Bühne - Blick über Nachbars Gartenzaun
Im Theater St. Gallen gelangt die Tragikomödie «Alle lieben George» des britischen Erfolgsautors Alan Ayckbourn zur deutschsprachigen Erstaufführung. Ein Probenbesuch.
Inhalt
Kulturtipp 07/2012
Babina Cathomen
Szenen am Frühstückstisch, wie sie so manches Ehepaar kennt: Die Gattin nervt sich über das Zeitungsrascheln ihres Mannes, der sich hinter der Lektüre verbirgt. Schliesslich entbrennt ein Streit über die falsch eingekaufte Marmelade und den Sonnenschirm, den es dringend aus der Ikea zu besorgen gilt. Der britische Dramatiker Alan Ayckbourn kennt die Pappenheimer seiner Protagonisten aus kleinbürgerlichem Haus. In seinen schwarzen Komödien beschäftigt er...
Szenen am Frühstückstisch, wie sie so manches Ehepaar kennt: Die Gattin nervt sich über das Zeitungsrascheln ihres Mannes, der sich hinter der Lektüre verbirgt. Schliesslich entbrennt ein Streit über die falsch eingekaufte Marmelade und den Sonnenschirm, den es dringend aus der Ikea zu besorgen gilt. Der britische Dramatiker Alan Ayckbourn kennt die Pappenheimer seiner Protagonisten aus kleinbürgerlichem Haus. In seinen schwarzen Komödien beschäftigt er sich meist mit den Abgründen, die unter der Oberfläche lauern. So auch in seinem neusten Stück «Alle lieben George», in dem die Lebenslügen dreier Paare um die 40 nach und nach aufbrechen.
Der Titel lässt es erahnen: Alles dreht sich um George. Und obwohl er in keiner einzigen Szene auftritt, reden alle ständig von ihm. Denn George ist todkrank, die Nachricht hat sich unter den Nachbarn wie ein Lauffeuer verbreitet. In seinen letzten Lebensmonaten möchte ihm nun jeder von ihnen – vor allem die Frauen – am nächsten sein. Mit allen erdenklichen Mitteln kämpfen sie um seine Gunst. Dabei treten die erkalteten Beziehungen und die Kommunikationsschwierigkeiten der drei Paare zutage. Wie es die Ironie des Schicksals will, ist es nach zahlreichen schrägen Wendungen am Schluss der Todkranke, der den Paaren die Lust am Alltag zurückgibt.
Von einfacher Liebe
«George macht ihnen die Einmaligkeit des Lebens bewusst, die ihnen durch die Mühsal des Alltags verloren gegangen ist», sagt Regisseur Tim Kramer. Die absurde Art und Weise, wie die Überlebenden mit dem Kranken umgehen, hat ihn am Stück besonders interessiert. «Mit theatralischen Mitteln kann ein Abstand zum traurigen Thema geschaffen werden, wie es in Filmen selten gelingt – das Theater verliert sich nicht in Betroffenheit und Empathie.»
Für die Schauspieler besteht die Herausforderung darin, die Doppeldeutigkeit des Konversationsstücks sichtbar zu machen. Die glatt polierte Oberfläche soll genauso zum Tragen kommen wie der oft diametral entgegen- gesetzte Gedanke darunter. In den Proben weist der Regisseur immer wieder auf diesen Gegensatz hin. Etwa wenn Georges Ex-Frau Monica über ihren neuen Partner spricht: «Jetzt gibt es einen Menschen in meinem Leben, der mich ganz einfach liebt. Nein – ich korrigiere – der mich auf eine ganz einfache Weise liebt.» Die Betonung legt Schauspielerin Boglarka Horvath in die letzten Worte, denn Monicas Neuer liebt sie auf so einfache Weise, dass die Beziehung eben auch nicht besonders spannend ist. «Aber ich bin wenigstens raus aus dem Kriegsgebiet», schliesst sie lakonisch.
Konservativer Vorort
Dieses «Kriegsgebiet» der Beziehungen versetzt Kramer in die 60er, was etwa die Kostüme ersichtlich machen, die eine spiessige Bürgerlichkeit ausstrahlen. Allerdings will er seine Inszenierung nicht in einem bestimmten Milieu verhaftet wissen – das Bedürfnis nach einem erfüllten Beziehungsleben ist schliesslich universell gültig. Mit dem Bühnenbild (Gernot Sommerfeld) hält sich die Inszenierung an Ayckbourns Vorlage, in der vier Nachbarsgärten Schauplatz der Auseinandersetzungen sind. Nur die Nummer 13 von Ayckbourns «selbstverständlichen Regeln fürs Stückeschreiben» gilt nicht, denn diese besagt: «Hüten Sie sich vor ehrgeizigen Bühnenbildnern, besonders vor solchen mit einem ‹Konzept›.» Ganz ohne Konzept gehe es in St. Gallen aber doch nicht, bemerkt Kramer. Die nachbarschaftlichen Zwiste tragen sich auf einer zweistöckigen Bühne aus; die vier quadratischen Gärten liegen laut Kramer «im Stil eines Mondrian-Gemäldes» nebeneinander. Die Inszenierung zoomt einen Ausschnitt aus einem konservativen Vorort mit herausgeputzten Blumenbeeten und gestutzten Rasen heran. «Im Laufe des Stücks wird der Rasen im Vordergrund immer mehr zur Gesamtspielfläche, so wie sich auch die Beziehungen der Figuren zunehmend verflechten», führt Kramer aus.
Revoluzzer George
Die abwesende Hauptfigur George dient in diesem Beziehungsgeflecht als Projektionsfläche für unerfüllte Wünsche. Von ihm ist zwar nichts zu sehen, aber ab und zu erklingen rockige Gitarrenriffs aus seinem Haus. Er ist der Revoluzzer, der Freiheitsdenker, der auch kurz vor seinem Tod noch mit unkonventionellen Methoden die biedere Vorort-Gesellschaft aufzumischen vermag.
www.theatersg.ch
Populärer Komödienschreiber mit Adelstitel
Alan Ayckbourn (1939 in London geboren) hat seine Theaterkarriere als Schauspieler begonnen. Bald hat er sich aufs Schreiben konzentriert – mittlerweile sind 76 Theaterstücke aus seiner Feder entstanden, die in rund 40 Sprachen übersetzt und teilweise verfilmt wurden. Er gilt als Grossbritanniens populärster Gegenwartsdramatiker. Dazwischen arbeitet er auch als
Regisseur. Ayckbourn lebt in Scarborough, wo er von 1972 bis 2009 als künstlerischer Leiter des Stephen Joseph Theatre tätig war. 1987 hat ihn die Queen zum «Commander of the Order of the British Empire» ernannt, zehn Jahre später wurde er in den Adelsstand erhoben. Der Dramatiker hat zahlreiche Preise erhalten, etwa den Special Tony Award für sein Lebenswerk. In seinen schwarzen Komödien beschäftigt sich Ayckbourn meist mit den Alltagssorgen des britischen Mittelstands und der Oberschicht – und wirft einen ironischen Blick unter die Oberfläche.