kulturtipp: Am 14. September treffen sich EU-Spitzenpolitiker mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping. Wie wird sich Europa Ihrer Meinung nach in Zukunft gegenüber China positionieren?
Pascal Nufer: Die grosse Frage im Moment ist doch: «Wie positioniert sich der Westen in Zukunft gemeinsam gegenüber China?» Die westliche Gesellschaft steht jetzt an einem Punkt, wo sie Farbe bekennen und zu ihren demokratischen Werten stehen muss. Denn China hat grosses Interesse an einem zersplitterten Europa.
Ist sich Europa dessen bewusst?
Nur teilweise. Staaten, die aktuell von China profitieren, wie Griechenland, Italien und osteuropäische Staaten, haben wenig Interesse, dass sich etwas ändert. Denn China bringt Geld, ohne gross an Bedingungen geknüpft zu sein.
Was ist Ihr Lösungsvorschlag?
Die Rechnung kann nicht mehr ohne China gemacht werden. Es ist hochinteressant und wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung. Aber wir müssen aufpassen, dass es nicht die Spielregeln diktiert. Vielmehr müssen sich alle auf Augenhöhe begegnen und die Spielregeln gemeinsam definieren.
Denken Sie, Peking würde es zulassen, diese gemeinsam festzulegen?
Es gibt sicher Aspekte, die Peking nicht akzeptieren würde. Aber wo es Verantwortung übernehmen muss und diese seinem Ansehen nützt, wird China sicher mitspielen. Denn schlussendlich ist die chinesische Seele sehr eitel.
Das heisst?
Die Chinesen wollen einfach gut in der Welt dastehen. Doch zu einem grossen Teil fühlen sie sich missverstanden von der Weltgemeinschaft. Ich bin überzeugt, wenn wir dem chinesischen Volk – nicht der Partei – Verständnis entgegenbringen und zuhören, dann können wir viel von ihm lernen.
Wie kann man China denn besser verstehen? Sie verbrachten Jahre in China und sagen selbst, je länger Sie im Reich der Mitte waren, desto weniger haben Sie das Land verstanden.
Ich glaube, wir müssen mit dem Verstehen von China bereits in der Schule beginnen und die asiatische Geschichte thematisieren. So legen wir den Grundstein für das Verständnis. Umgekehrt wissen die Chinesen genau Bescheid über uns.
War ein besseres Verständnis der Grund, warum Sie Ihr Buch geschrieben haben?
Auf jeden Fall. Als Journalist rennst du dem Tagesgeschäft nach und bist auf Wirtschaft und Politik fokussiert. Bewegst dich vorwiegend zwischen Shanghai, Peking und Shenzhen. Dabei vergisst du, wie divers das Land und dessen 1,4 Milliarden Einwohner sind. Das Buch war ein Versuch, mich den Menschen und der Seele des Landes, unabhängig von der Partei, anzunähern.
Konnten Sie sich annähern?
Ja. Das Projekt half mir, nicht im totalen Frust und Zynismus aus China abzureisen. Mir wurde von Neuem bewusst, dass ich zwischen dem System und den Menschen unterscheiden muss.
Wie kam die Idee des Buchs und der Dok-Reihe zustande?
Die Idee der Dok-Reihe haben bereits meine Korrespondenten-Kollegen aus Amerika und Russland umgesetzt. Somit war eine Dok-Reihe über China gesetzt, um die Trilogie der drei Grossmächte zu komplettieren. Die Herausforderung dabei war mein Kopf: nochmals zurückzukehren und mit einem Lachen auf den Lippen durch dieses Land zu reisen. Im Buch beleuchte ich Hintergründe, etwa warum der Hunger nach Religion so gross ist, oder ich thematisiere wichtige Ereignisse wie die Kulturrevolution.
Und warum haben Sie die vier verschiedenen Hauptthemen Wahrsagerei, Musik, Freunde und Spiritualität gewählt?
Hinter dem Thema der Wahrsagerei steckt eine persönliche Geschichte. Eines meiner Lieblingsbücher, «Fliegen ohne Flügel» des italienischen Autors und früheren China-Korrespondenten Tiziano Terzani, beschäftigt sich damit. Ausserdem ist die Wahrsagerei im asiatischen Alltag allgegenwärtig. So war ich fasziniert, aber immer zu skeptisch, einen Wahrsager aufzusuchen. Dieses Projekt war der geeignete Anlass, es mit Wahrsagerei zu versuchen und Antwort auf die Frage zu finden, wie ich mich mit China versöhnen kann. Aus dem Resultat des ersten Filmes entstanden die Themen der drei weiteren Filme.
Sie sagen, dass Sie während der Zeit in China oft mit sich haderten. Warum?
Weil es oft unmöglich war, journalistisch zu arbeiten wegen der grossen Zensurhürden. Während einer dreimonatigen Stellvertretung meiner Vorgängerin dachte ich mir: «Läck, da kommt was Grosses auf mich zu.» Und ich war überzeugt: «Keine Chance, dass ich diesen Job jemals machen werde.» Aber als ich meine erste Geschichte realisieren konnte und weitere folgten, da hat es «klick» gemacht. Ich begriff und akzeptierte, dass in China alles einfach ungemein länger braucht.
Haben Sie sich manchmal einsam gefühlt, ein so grosses Gebiet als Korrespondent allein abdecken zu müssen?
Ja. Aber ich glaube, das geht jedem Korrespondenten so. Auf dem Aussenposten bist du oft allein – besonders wenns darum geht, auf der Redaktion Themen durchzubringen. Aber es ist ein Teil vom Auftrag als Korrespondent, die Leute zu Hause auf die Trends und Entwicklungen unserer Berichterstattungsgebiete zu sensibilisieren.
Wie verarbeiten Sie schwierige Situationen wie beispielsweise die strenge Zensur oder die Tsunami-Katastrophe, über die Sie im Jahr 2004 aus Thailand berichteten?
Das ist ein grosses Thema bei uns Journalisten. Denn im Alltagsstress ist die Gefahr gross, solche Ereignisse nicht richtig aufzuarbeiten, die sich in Stresssymptomen ausdrücken. Wichtig wäre eine psychologische Betreuung bei der Verarbeitung von schwierigen Erlebnissen. Deshalb sollten Redaktionen vermehrt ein Auge auf die Aufarbeitung haben.
Was ist Ihnen aus der Zeit in China speziell in Erinnerung geblieben?
Zu scheitern, zu lernen und etwas Positives daraus zu machen. Das macht diese Geschäftstüchtigkeit aus, die man den Chinesen nachsagt. Es ist aber eigentlich ein Überlebenswille, der sie antreibt. Das hat mir imponiert. Ich hoffe, ich kann diese Antriebskraft in meinem Leben mitnehmen.
Buchvernissage
Sa, 19.9., 19.00 Kosmos Zürich
(inklusive Dokfilm)
Vierteilige Dok-Reihe
«Mein anderes China» online: www.srf.ch/sendungen/dok
Buch
Pascal Nufer
Faszination China – Mythen, Macht und Menschen
220 Seiten
(Beobachter 2020)