kulturtipp: Bruno Spoerri, wann haben Sie letztmals einen Tag lang nichts gemacht?
Bruno Spoerri: Als ich krank war vor einigen Jahren.
Eigentlich wären Sie seit 15 Jahren pensioniert.
Ja, aber wenn ich mir nichts zu tun gebe, wird mir langweilig.
Wir sitzen in Ihrem Atelier voller Instrumente, LPs, Tonbändern, Computern … Was benutzen Sie noch, was ist Archiv?
Ich bin am Aufbereiten meines unveröffentlichten musikalischen Werks, damit es für allfällige Editionen bereit ist. Zu wirklich neuen Arbeiten fehlt mir die Energie.
Nun stapeln Sie tief: Bald spielen Sie am Festival da Jazz in St. Moritz.
Stimmt. Ich dachte, es sei ein konservatives Festival und schlug mein Balladen-Quartett vor. Sie wollten aber Elektronik. Nun werde ich mit jenem Projekt zwischen Elektronik und Jazz spielen wie am Schaffhauser Jazzfestival.
Jenem Konzert, das zu Ihrem 80. Geburtstag auf SRF 2 Kultur wiederholt wird?
Genau. In Schaffhausen waren aber andere Leute dabei, etwa die Rapperin Big Zis.
Sie spielen oft mit jungen Musikern zusammen. Mögen Sie noch mithalten?
Die Zusammenarbeit mit jungen Musikerinnen und Musikern gibt mir Energie. Und es ist grossartig, Ausnahmetalente wie etwa den Schlagzeuger Julian Sartorius zu entdecken.
Sie selbst haben als Amateurjazzer begonnen. Wann erfolgte der Schritt zum Profimusiker?
1965, als mich eine Zürcher Agentur als Ton- und Musikgestalter für Werbefilme anstellte. Das hat mir eine völlig neue Welt eröffnet.
Die der Elektronik?
Wir mussten improvisieren, was mir eine grosse kreative Freiheit gab. Es fehlte aber das Geld für Musiker, also half ich mir mit der aufkommenden Elektronik aus.
Ein Psychologe als musikalischer Ingenieur: Haben Sie stets autodidaktisch gearbeitet?
Weitgehend. Ich besuchte Klavier- und Saxofonstunden, und der Komponist Robert Suter zeigte mir die Geheimnisse der Musiktheorie.
Wie fanden Sie zur Avantgarde?
Als ich aus Basler Fasnachtsmärschen Jazzstücke machte, erregte ich Interesse bei den Basler Avantgardisten um George Gruntz, die den damals aktuellsten Jazz spielten.
Können Sie mir verraten, wie die Avantgarde funktioniert? Wie spürt man, was in der Luft liegt?
Das spürt man nicht, die Avantgarde entsteht retrospektiv. Ich wurde mehrfach zum Pionier erklärt – beim Jazz damals in den 50ern, mit Jazzrock und meinen elektronischen Arbeiten. Jedes Mal war ich überrascht und fragte mich, wie mir geschehen ist.
Heute sind Sie Spezialist für interaktive Musik. Was fasziniert Sie an der Kommunikation mit Maschinen?
Reine Maschinenmusik ist mir ein Graus! Mich interessieren Geräte, mit denen sich improvisieren lässt.
Sie treten auch als «normaler» Jazzsaxer auf. Welche Rolle ist Ihnen wichtiger?
Ich sehe mich als Improvisator mit Jazzhintergrund. Das ist möglich mit Instrumenten und mit Computern.
Apropos Computer: US-Rapper Jay-Z hat Ihren Song «On The Way» von 1978 ungefragt für seinen Track «Versus» benützt. Hat Sie das genervt?
Zuerst sehr. Vor allem, dass er und sein Produzent Timbaland aus meinem dreiminütigen Stück zwei Takte gepickt und diese endlos wiederholt haben. «Versus» klingt sehr fantasielos …
Laut einer Vereinbarung erhalten Sie 50 Prozent des Verkaufserlöses von «Versus». Sie haben also ausgesorgt …?
Die Millionen fliessen … (lacht). Nein, das sind kleine Beträge. Aber ich kann damit meine neue CD finanzieren, die im Herbst erscheint.
Diese Geschichte hat international für Furore gesorgt. Glauben Sie, dass sie nachhaltige Folgen haben wird?
Kaum. DJ Spooky hat kürzlich in einem Interview gesagt, es gebe keine Originalität mehr. Das mag für seinen Bereich des Musiksampelns stimmen. Aber es gibt bis heute Leute, die Originalwerke schaffen.
Und wo ist sie zu orten, die aktuelle Avantgarde?
Ich beobachte mit Erstaunen eine weitgehende Entwicklung hin zur Simplifizierung – auch bei der «ernsten Musik». Im Gegenzug fliessen Elemente sogenannter Minderheitenmusik in den Mainstream.
Zum Beispiel?
Die Verbindung von Schweizer Folklore mit Rockmusik. Auch Jazz und Hip-Hop inspirieren sich noch immer, wie US-Pianist Robert Glasper gerade eindrücklich zeigt.
Seit 15 Jahren schreiben Sie musikhistorische Bücher. Wie kam es dazu?
Die Anfrage der Hochschule Luzern, Jazzgeschichte zu unterrichten, hat mir die Augen geöffnet für den alten Jazz.
Als Musiker und Referent sind Sie viel unterwegs. Ist Ihnen das Würde oder Bürde?
Mit der Zeit wird es zur Bürde. Aber ich löse das pragmatisch, indem ich jede berufliche Reise zur Ferienreise erweitere.
Die Würde bekommen Sie dieses Jahr mehrfach zu spüren: Sie haben die Ehrenmedaille des Kantons Zürich erhalten, das Bundesamt für Kultur hat Sie für den Grand Prix Musik nominiert.
Das freut mich, aber es kommt – gemeinsam mit meinem runden Geburtstag – allzu gebündelt. Der Absturz nächstes Jahr ist vorprogrammiert.
Der Saxofonist und Elektronik-Improvisator
Bruno Spoerri, 1935 in Zürich geboren, wuchs in Basel auf und hat Angewandte Psychologie studiert. Spoerris Mutter war Violonistin und schickte ihn in die Klavierstunde. Er wechselte zum Saxofon und gewann 1954 am Zürcher Amateurfestival den ersten Preis. Von 1955–1975 spielte er im Metronome Quintet. Es folgten Kompositionen für Werbe-, Dokumentar- und Spielfilme. Spoerri leitete diverse Jazzrockbands und gilt als Elektronik-Pionier. Bis heute ist er als Saxofonist und Elektronik-Improvisator tätig, war Lehrbeauftragter und schreibt musikhistorische Bücher. Seit 1962 lebt der Basler in Zürich.
CDs
Bruno Spoerri
Memories
(Everest Records, September 2015).
Hans Kennel/Bruno Spoerri
Dusty Vibes
(Sonorama 2011).
Konzert
Bruno Spoerri Jazz
Ex Machina
Mi, 5.8., 21.00 Dracula Club St. Moritz
www.festivaldajazz.ch
Radio SRF 2 Kultur
«Kontext»: Fr, 14.8., 09.00 Bruno Spoerri zum 80. Geburtstag
«Jazz live»: Fr, 14.8., 22.05 Bruno Spoerri am Schaffhauser Jazzfestival 2015
«Jazz Classics»: Fr, 14.8., 22.30 The Metronome Quintet «At The Zoo» (1969)