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Gefühle sind stärker als der Verstand: «Ich liebe Dich! Alles um mich trägt Deine Züge. Deine holde Schönheit verfolgt mich …» Die Komponistin Alma Mahler schickte diese Liebeserklärung an den vier Jahre jüngeren Architekten Walter Gropius, der später im Weimarer Bauhaus die moderne Architektur mitprägen sollte. Mahler und Gropius hatten sich eben im österreichischen Kurort Tobelbad kennengelernt und ineinander verliebt. Sie war damals mit dem viel älteren Komponisten Gustav Mahler verheiratet.
Leben zwischen zwei Männern
Das emotionale Bekenntnis von Alma Mahler ist Teil einer Briefsammlung, die soeben unter dem Titel «Du bist mir Kunst» erschienen ist. Das im Nachlass von Gropius enthaltene Konvolut enthält die meisten Briefe von Mahler an Gropius von 1910 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Er bewahrte ihre Schreiben auf; sie verbrannte die seinigen, aber sie liessen sich rekonstruieren.
Denn Gropius verfasste für jede Notiz, die er seiner Angebeteten schickte, Entwürfe, die er ebenfalls hortete. So konnten die Herausgeber Annemarie Jaeggi und Jörg Rothkamm die stürmische Beziehung weitgehend rekonstruieren. Alma Mahler lebte zwischen ihrem weltberühmten Ehemann und dem jungen Geliebten in einem Gefühlschaos und liess Gropius dies trotz aller Liebesschwüre wissen: «Gestern Abend spielte ich aus der VII. Sinfonie.
Gustav spielte auch, ich war so hingerissen – es ist für mich das naheste Werk … und das fesselt mich an ihn.» Wahrscheinlich war sie selbst in der ersten Verliebtheit nicht wirklich bereit, Mahler wegen Gropius zu verlassen. Die Amour fou nahm im Juli 1910 ihren Anfang und sollte sich zu einem Drama entwickeln. Die beiden Liebenden versuchten zwar alles, um ihre Liaison zu verheimlichen. Doch Gustav Mahler kam ihnen durch ein fehlgeleitetes Schreiben von Gropius auf die Spur.
Ein paar Monate später starb der Komponist an einer Herzerkrankung. Mit seinem Tod liess das Interesse von Alma Mahler an Gropius nach. Er buhlte zwar weiterhin intensiv um ihre Gunst, sie hielt sich indes zurück, bis die Beziehung zu erkalten drohte. Doch mit dem Ersten Weltkrieg fanden sich die zwei für kurze Zeit wieder. Sie heirateten und hatten eine gemeinsame Tochter, die früh verstarb. Alma Mahler wandte sich anderen Männer zu. Sie heiratete nach der Scheidung den Schriftsteller Franz Werfel.
10. Sinfonie im Zeichen des Liebeskummers
In den Briefen finden sich sonderbar wenig Hinweise auf die Arbeit der beiden, auch wenn Gropius die Angebetete mit den Worten «Du bist mir Kunst» bedachte. Immerhin schreibt er 1911 in einem Brief über seine architektonischen Vorstellungen: «Ich möchte eine grosse Fabrik ganz aus weissem Beton bauen, nichts wie nackte Mauern mit Löchern darin …»
Wer will, kann darin einen Fingerzeig auf das spätere Bauhaus sehen. Für Alma Mahler hatte das Verhältnis mit Gropius unerwartet erfreuliche künstlerische Folgen. Erst nachdem Gustav Mahler von der Liaison erfahren hatte, nahm er seine Frau als Komponistin ernst und arbeitete mit ihr intensiv an ihren Liedkompositionen. Das war seine Art, um seine Ehefrau zu buhlen. Er selbst litt derart intensiv unter der Dreieckskonstellation, dass er die 10. Sinfonie im Zeichen seines Liebeskummers niederschrieb. Mahler verstarb vor ihrer Vollendung.
«Du bist mir Kunst» – Der Briefwechsel Alma Mahler – Walter Gropius, 1910 bis 1914
Hg. Annemarie Jaeggi, Jörg Rothkamm
(Residenz 2023)
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