«In meinem Elternhaus wurden zwei Sprachen gesprochen: Musik und Deutsch. Ich beherrschte keine der beiden. Damit fing das Problem an», macht die Autorin Maya Lasker-Wallfisch gleich zu Beginn ihres Buchs «Briefe nach Breslau» deutlich.
Maya Lasker-Wallfisch wird 1958 in London geboren, wo sich ihre Eltern nach dem Krieg niederlassen. Beide sind Berufsmusiker. Beide stammen aus jüdisch-deutschen Familien in Breslau. Über Letzteres wird allerdings genauso wenig gesprochen wie über die traumatischen Erlebnisse von Mayas Mutter Anita während des Zweiten Weltkriegs. Diese ist 16 Jahre alt, als ihre Eltern 1942 deportiert und von den Nazis ermordet werden. Auch Anita und ihre Schwester Renate kamen später nach Auschwitz. Weil Anita Cello spielen kann, entgeht sie aber dem Tod und wird ins Mädchenorchester aufgenommen. Ihre Schwester überlebt ebenfalls. Später wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch das renommierte English Chamber Orchestra mitbegründen.
«Meine Mutter hatte, um zu überleben, auf eine normale Gefühlswelt verzichtet», schreibt die Autorin in ihrem Buch. «Da die Musik ihr höchstwahrscheinlich das Leben gerettet hatte, wurde sie ihre grosse Liebe», folgert sie heute. Als Kind leidet Maya darunter, dass ihre Mutter beruflich höchst engagiert ist und oft wochen-, manchmal gar monatelang auf Tournee ist. Aber nicht nur das: Die Normalität, mit der die Familie durchs Leben geht, trügt. Zu viel Unausgesprochenes, Traumatisches verbirgt sich hinter der Fassade. Die schwere Vergangenheit der Mutter, aber auch der Tod der Grosseltern werden in der Familie nie zum Thema.
Ihr Zuhause damals habe sie als «Landschaft des unsichtbaren Todes» wahrgenommen, erzählt Maya Lasker-Wallfisch in einem Interview mit dem Radiosender DLF. Die sensible Maya verliert zunehmend den Boden unter den Füssen. Sie schmeisst die Schule hin, wird drogenabhängig und stürzt ab. Viele Entzüge und Therapien später kriegt sie ihr Leben wieder in den Griff und beschäftigt sich heute als Psychotherapeutin mit der unbewussten Weitergabe von Traumata an Kinder und Kindeskinder, der sogenannten transgenerationalen Weitergabe.
Ihr Buch «Briefe nach Breslau» ist eine eindrückliche Aufarbeitung ihres Familientraumas. In elf fiktiven Briefen berichtet sie ihren Grosseltern, was mit ihrer Mutter und deren Schwester passiert ist. Sie erzählt gleichzeitig aber auch ihre leidvolle Geschichte. Mit den Briefen habe sie den Grosseltern einen Ort der Ewigkeit gegeben, sagt Lasker-Wallfisch gegenüber DLF. Und dabei habe sie auch sich selbst gefunden.
Buch
Maya Lasker-Wallfisch
Briefe nach Breslau
Aus dem Englischen von Marieke Heimburger
(Insel Verlag 2020)
Die Erinnerungen der Mutter
Anita Lasker-Wallfisch, die Mutter der Autorin Maya Lasker-Wallfisch, hat ihre Lebenserinnerungen Jahrzehnte nach dem Überleben des Holocaust für ihre Nachkommen in einem Buch festgehalten. Ein eindrückliches Zeitdokument, dessen Lektüre sich ebenfalls lohnt.
Anita Lasker-Wallfisch
Ihr sollt die Wahrheit erben – Die Cellistin von Auschwitz
256 Seiten (Rowohlt 2020)