Wenn das Leben der Eltern zu Ende geht, müssen die Kinder lernen, damit umzugehen. An dieses schmerzliche, intime Thema wagen sich zwei Autoren in ihren neuen Büchern: Daniel de Roulet und Susanna Schwager setzen sich mit dem Sterben der Eltern auseinander. Es sind zeitlose Auseinandersetzungen mit dem, was alle angeht: Krankheit, Zerfall, Alter und Familie.
«Ich schreibe dir nicht, um mit dir abzurechnen»
Der Genfer de Roulet schreibt seinem verstorbenen Vater, während er die Mutter bei den Vorbereitungen für den Freitod mit Exit begleitet. Sein Vater war Pfarrer in einer Uhrmachergemeinde im Berner Jura. «Ich schreibe dir nicht, um mit dir abzurechnen, sondern weil ich verstehen möchte, was es heisst, als Sohn eines Pfarrers geboren zu werden, und was ich dir schulde», wendet sich der Sohn an den Toten. Zwar wird eine Lebensgeschichte erzählt, im Kern interessiert sich der Autor aber für den Hintergrund des Vaters, um sich selbst reflektieren zu können. «Gemeinsam mit dir versuche ich, meinen eigenen Zweifeln auf den Grund zu gehen.» Der Vater war ein erstaunlich progressiver Mann, der befand, dass Ehe und Scheidung für alle da sind. Er räumte in theologischen Debatten ohne Weiteres ein, «dass Gott womöglich eine Schwarze ist». Die Nüchternheit, mit welcher der Atheist de Roulet das Leben des Vaters und das Ende seiner Mutter beschreibt, hält die Leser auf Distanz und lässt den Text etwas asketisch wirken. Das Hadern des Sohnes mit dem Vater scheint durch, was eine gewisse Kühlheit erzeugt.
«Wie kostbar menschliche Gemeinschaft ist»
Susanna Schwager hingegen nähert sich mit einem Liebesbrief dem an Demenz erkrankten Vater und schildert dessen letzte Monate eindrücklich tiefgründig. «Es war kaum auszuhalten», schreibt die Zürcherin. «Und ich will es Dir erzählen, der Du jetzt hoffentlich entspannt mit akkurat übereinandergelegten Beinen auf einer Wolke liegst und diesen Brief liest.»
Während de Roulet in die Vergangenheit schaut, schildert Schwager vor allem die letzten Stationen des einstigen Patriarchen, der seinen Kindern immer schützend zur Seite stand. Das Brachiale der Krankheit wird schonungslos dargestellt, doch ist nicht die Schilderung der Ausweglosigkeit der Ansporn für Schwagers Brief – vielmehr ist es die Dankbarkeit ihrem Vater gegenüber. «Ach, Vater, warum erfahren wir erst in Momenten der Ankunft und des Abschieds von anderen so tief, wie kostbar die menschliche Gemeinschaft ist?»
Vor allem Susanna Schwagers Buch stimmt traurig, und gelegentlich lässt die Lektüre einen leer schlucken. Doch beide Bücher wagen wertvolle Reflexionen darüber, was das Leben lebenswert macht: Menschen, die sich Gedanken um einen machen. Während de Roulet oft wie der aussenstehende Beobachter wirkt, bemüht sich Schwager um das Einfühlen in die Wahrnehmung des Kranken – eine Annäherung, die imponiert.
Bücher
Daniel de Roulet
Brief an meinen Vater
Aus dem Französischen
von Maria Hoffmann-Dartevelle
80 Seiten
(Limmat 2020)
Susanna Schwager
Lamento – Brief an den Vater
169 Seiten
(Bilgerverlag 2021)