Der Mann war eine Diva. Und wie es sich für eine Diva gehört, war er gerne beleidigt. «Es ist ein Strudel von Lügen und Gemeinheiten, in dem ich mich nicht mehr zurechtfinde.» Mit diesen Worten beklagte sich der französische Schriftsteller Gustave Flaubert 1857 in einem Brief an seinen Bruder Achille. Der französische Romancier beschwert sich über die Justiz, die seinen Roman «Madame Bovary» wegen sittlicher Freizügigkeiten als «unmoralisch» und «obszön» qualifizierte. Die Behörde hatte ein Verfahren gegen Flaubert eröffnet – das war das Beste, was ihm passieren konnte, um das Buch zu einem Erfolg werden zu lassen.
«Wenn Du hier wärst, würde ich Dich beissen …»
Das Schreiben an Achille ist in einer neu erschienenen Briefsammlung von Gustave Flaubert enthalten; schriftliche Antworten fehlen. Unter dem Titel «Ich schreibe gerade eine kleine Albernheit» sind hier Briefe aus der Kindheit bis zum Todesjahr versammelt. Die Schreiben geben einen Einblick in das Wirken eines wohlsituierten Mannes, der sich um keine der existenziellen Demütigungen kümmern musste, unter denen die meisten Franzosen seiner Generation litten. Er konnte sein Dasein als ein schriftstellerisches Genie in Ruhe geniessen und durfte stets ein bisschen beleidigt sein. Auch fand er genügend Zeit, sich intensiv um seine Liebschaften zu kümmern. Um die ernsthaften ebenso wie um die bezahlten, von denen er gerne freimütig berichtete.
Eine ernsthafte Liaison unterhielt er zu der zehn Jahre älteren Lyrikerin Louise Colet: «Ich umarme dich, ich küsse dich, ich bin wahnsinnig. Wenn Du hier wärst, würde ich Dich beissen …», schrieb er ihr in der ersten Euphorie 1846 aus seiner Residenz in Croisset bei Rouen. Sie wird sich damals über das Liebesbekenntnis gefreut haben. Doch Colets Begeisterung für Flaubert legte sich etwas, als sie sich in dem Roman «Madame Bovary» als Protagonistin wiedererkannte und sich in moralischer Hinsicht missverstanden fühlte. Allerdings hatte Louise Colet nicht nur Grund zur Klage, denn Flaubert setzte sich jahrelang intensiv mit ihren Gedichten auseinander.
Er verstand sich als fortschrittlicher Gesellschaftskritiker, der das reaktionäre Regime von Napoleon III. ablehnte. Gustave Flaubert war indes auch ein Patriot und litt unter der Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71: «Nachts wacht man auf, weil man die Kanonen zu hören glaubt. Sie können sich nicht vorstellen, wie diese anhaltende Angst einen zermürbt», ist in einem Brief vom Herbst 1870 zu lesen, als sich der deutsche Sieg abzeichnete. Das Schreiben war an seinen jüngeren Freund, den Historien- und Porträtmaler Claudius Popelin, gerichtet.
Worte direkt aus dem Herzen
Bei der Lektüre von Flauberts Briefen ist Vorsicht geboten, denn der Mann war ein brillanter Romancier. Die Sprache war seine Waffe; er konnte seine wahren Gefühle hinter Worten verstecken. Mitunter ist jedoch spürbar, dass er seinen Emotionen ausgeliefert war, etwa nach dem Tod seiner geliebten Schwester Caroline: «Morgens, als alles getan war, habe ich ihr in ihrem Sarg einen langen und letzten Abschiedskuss gegeben … Ich habe ihr grosses, buntes Umschlagtuch bei mir, eine Haarsträhne …» Flaubert schreibt in diesem Brief direkt aus seinem Herzen.
Buch
Gustave Flaubert
«Ich schreibe gerade eine kleine Albernheit»
Aus dem Franz. von Cornelia Hasting
319 Seiten
(Dörlemann 2021)