Der Brief liest sich wie eine Kapitulation. «Ich sage Ihnen offen, dass es mir kaum möglich scheint, mich allein zu entwöhnen, obwohl ich in der Dosis schon ziemlich heruntergekommen bin.» Diese Zeilen hat Friedrich Glauser im März 1927 an den Psychiater Max Müller geschrieben. Glauser ersuchte ihn um die Einweisung in die Psychiatrische Klinik von Münsingen, nachdem er sich «bei einem Apotheker widerrechtlich Opium angeeignet hatte». Bei Müller unterzog sich Glauser einer Psychoanalyse, die ihm helfen sollte, sich vom «überdominanten Vater» zu lösen, wie es in der Einführung zu diesem Lebensabschnitt Glausers im neu erschienenen Band heisst.
Süchtig, aber nicht willensschwach
Die Literaturwissenschafterin Christa Baumberger legt mit dem Buch «Friedrich Glauser – Jeder sucht sein Paradies …» eine Sammlung von rund 300 bisher teils unveröffentlichten Schriftstücken vor. Briefe von Glauser, Gesprächsaufzeichnungen, zahlreiche Dokumente sowie Schreiben Dritter sind in diesem Band enthalten. So ergibt sich ein umfassendes Porträt eines Menschen, der mit mehr Widersprüchen in sich selbst zurechtkommen musste als die meisten anderen.
Friedrich Glauser (1896–1938) ist vor allem als Kriminalschriftsteller in Erinnerung geblieben. Romane wie «Wachtmeister Studer», «Matto regiert» und «Der Chinese» sind spannende Lektüre und vermitteln gleichzeitig ein Gesellschaftsbild der Schweiz in der Zwischenkriegszeit.
Wer glaubt, Glauser sei wegen seiner Sucht ein willensschwacher, vom Leben überforderter Zeitgenosse gewesen, täuscht sich. Auf Anraten seines Vaters zog er in die Französische Fremdenlegion, wo es ihm zumindest am Anfang besser gefiel als in der Schweiz: «Das Gefühl war so stark, dass ich den jetzt vergangenen Monat trotz allen Strapazen und Chikanen als wohltätig empfinde, weil er mir Neues gebracht hat und viel Schönes …», schrieb er nach Hause.
In Georges Simenon erkannte er sein Vorbild
Das Buch dokumentiert eine schier unvorstellbare Bürokratie, unter der Glauser als Entmündigter litt. Psychiater und institutionelle Willkür entzogen ihm immer wieder die Würde – er war eine Art personifiziertes Schriftstück.
Glauser wusste, dass er schreiben konnte, fühlte sich zum Schriftsteller berufen. Er erkannte in Georges Simenon und dessen berühmtem Kommissar Maigret sein kriminalistisches Vorbild: «Nicht aus Tatsachen das Schlussresultat absummieren, sondern aus der Atmosphäre, aus der Psychologie der Handelnden die Lösung blühen lassen.»
Er wusste, wovon er schrieb. Immer wieder musste er selbst das Recht ritzen, um zu seinem Morphium zu kommen. Das führte auch zum Bruch mit seinem Analytiker Max Müller, nachdem Glauser ein Rezept mit dessen Unterschrift gefälscht hatte: «Es ist eigentlich merkwürdig, mit was für einem Hass ich von M. fortgegangen bin», schrieb er einer Freundin. Passagen wie diese lassen das Lebensparadox von Glauser erahnen. Er musste zwanghaft andere enttäuschen und hatte doch immer wieder den Mut zum Neuanfang.
Allerdings kam das Ende früh. In der Basler Klinik Friedmatt erlitt er einen Schädelbruch, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Ein Jahr später verstarb er in Genua im Alter von 42 Jahren. Man hatte ihm die Diagnose «Schädelbruch» in der Friedmatt verheimlicht. So wusste er bis zu seinem Tod nicht, weshalb er unter fürchterlichen Kopfschmerzen litt.
Buch
Christa Baumberger
Jeder sucht sein Paradies ...
Mit Illustrationen von Hannes Binder
520 Seiten
(Limmat 2021)
Buch
Friedrich Glauser
Du wirst heillos Geduld haben müssen mit mir – Liebesbriefe
Mit Vorwort und Steckbriefen der Empfängerinnen von Manfred Papst
160 Seiten
(Unionsverlag 2021)
Friedrich Glausers Liebesbriefe
Sie waren Geliebte, Mutterersatz, Unterstützerinnen oder verständnisvolle Gesprächspartnerinnen: Starke Frauen spielten in Friedrich Glausers unstetem Leben eine wichtige Rolle. Der kürzlich erschienene Band «Du wirst heillos Geduld haben müssen mit mir» versammelt berührende Briefe, die der Schriftsteller an neun Frauen schrieb und die viel über sein Leben und Werk erzählen. Darunter etwa die Textilgestalterin Elisabeth von Ruckteschell, mit der er im Tessin eine kurze und stürmische Beziehung lebte. Oder die 24 Jahre ältere Redaktorin Martha Ringier, die für ihn zur mütterlichen Freundin und Mäzenin wurde. In den Briefen zeigt sich Glauser als charmanter, witziger und fantasievoller Zeitgenosse, lässt aber auch immer wieder seine depressive, verletzliche Seite durchscheinen. «In Friedrich Glausers Briefen verbinden sich bisweilen Wiener Schmäh, französischer Charme und helvetisches Understatement», bringt es Kulturjournalist Manfred Papst im Vorwort auf den Punkt.
Die zärtlichsten Briefe schreibt der sensible Schriftsteller an seine zwölf Jahre jüngere Geliebte Berthe Bendel, die ihn in der Klinik Münsingen als Pflegerin betreut und die zu seiner wichtigsten Lebensgefährtin wird. «Es kommt mir so ganz unwahrscheinlich schön vor, dass es so Menschen gibt wie dich, die einen einfach hinnehmen, so wie man ist, und die spüren, dass man doch nicht nur der Psychopath u. Morphinist ist, der man scheint», schreibt der «Friedel» an seine «Berth», der «Has» an sein «Mutschelgeissli», wie er sie liebevoll nennt. Auch das titelgebende Zitat «Du wirst heillos Geduld haben müssen mit mir» entstammt einem der Briefe an Berthe, mit der er ein gemeinsames Leben aufbauen will. Doch dem Traum steht seine Drogensucht im Wege, und als er sich Jahre später doch noch zu erfüllen scheint, bricht Friedrich Glauser am Vorabend der geplanten Hochzeit zusammen und stirbt kurz darauf am 8. Dezember 1938. Babina Cathomen