«Ich bitte Sie sehr, liebe Els, machen Sie nicht für Hitler und die deutsche Diktatur Propaganda! Sie dienen damit dem nächsten Krieg, und einem verschärften Klassenkampf.» Mit diesen Worten warnt Hermann Hesse in einem Brief im März 1933 die befreundetet Els Bucherer-Feustel, Ehefrau des Basler Malers Max Bucherer. Erst wenige Wochen zuvor hat Adolf Hitler in Deutschland die Macht ergriffen, und Hesse mahnt: «Die Begeisterung über Deutschlands plötzlich entdeckte Grösse, liebe Els, wird wieder zu Krieg und Blut führen.»
«Inmitten dieser Blindheit mit offenen Augen»
Die Briefe sind Teil der fünften, auf insgesamt zehn Bände angelegten Brief-Edition. Die Dokumente aus den Jahren 1933 bis 1939 lassen in den Alltag des deutschen Literaturnobelpreisträgers blicken, der ab 1919 bis zum Tod 1962 im Tessiner Dörfchen Montagnola lebte. Und sie belegen: Das «Dritte Reich» war sichtbar, und nicht, wie oft behauptet, ein Schauspiel in einer undurchdringlichen Nebelzone. Hesse schrieb 1938 eine Postkarte an den St. Galler Lyriker Carl Gemperle: «Es ist schlimm, inmitten dieser Blindheit mit offenen Augen zu leben.»
Der Band zeigt, wie sich Hesse für die in die Schweiz eingewanderten und auch hier bedrohten Kollegen einsetzte. Etwa seine Briefe an Heinrich Rothmund, Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei, der damals zuständig für die schweizerische Flüchtlingspolitik und verantwortlich für die Abschiebung jüdischer Emigranten war.
Später wendet er sich an die Direktion der Fremdenpolizei, um sich für den aus Österreich geflohenen jüdischen Lyriker Albert Ehrenstein einzusetzen: «Es ist für die Schweiz nicht eine Schande und Gefahr, sondern eine Ehre, wenn sie von hochbegabten Künstlern, wie Albert Ehrenstein einer ist, als Asyl inmitten einer irrsinnig gewordenen politischen Welt aufgesucht wird.» Doch Ehrenstein muss die Schweiz verlassen. «Es ist grausig, aber wir haben keinen Grund, uns besser vorzukommen als die Teutonen», betont Hesse. Die Schweizer Fremdenpolizei verhalte sich «ausgesprochen antisemitisch».
Auch dieser Band wurde von Hesse-Siegelbewahrer Volker Michels editiert, für den die Briefausgaben eine «Lebensaufgabe» sind. «In den letzten vier Jahrzehnten ist es mir, in Zusammenarbeit mit Hesses 2003 verstorbenem Sohn Heiner, geglückt, etwas mehr als 20 000 Antwortschreiben des Dichters zu ermitteln. Insgesamt hat Hesse ja mehr als 44 000 Briefe beantwortet», sagt Michels auf Anfrage. «Da Hesse ein selten integrer und zukunftsorientierter Autor mit einem grossen Einfühlungsvermögen war, gibt es für mich keine sinnvollere Aufgabe.»
Schweizer Applaus bei Hitlers Ernennung
Zwar lässt sich Michels im Buch kaum über seine Auswahlkriterien aus, doch die zahlreichen Anmerkungen und Kommentare machen es der Leserin leicht, zu folgen. So geht das von Michels verfolgte Konzept, anhand der Briefe Hesses Biografie authentisch nachzuzeichnen, hervorragend auf – und ist vor allem auf politischer Ebene spannend.
Bei der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler im Januar 1933 wurde auch in der Schweiz gejubelt. Hesse aber klatschte nicht: «Ein baldiger Krieg, den sie noch verlieren würden, wäre das beste», schrieb er 1934 an seinen Bruder Hans.
Buch
Hermann Hesse
In den Niederungen des Aktuellen.
Die Briefe 1933–1939
Hg. Volker Michels
750 Seiten
(Suhrkamp 2018)