Beinahe dreieinhalb Jahre ist es her, dass Wolfgang Urstadt, technischer Leiter der Bregenzer Festspiele, die ersten Skizzen zur neuen Seebühne gesehen hat. Jetzt ist das Werk fertig. Der Technische Überwachungs-Verein (TÜV) Austria ist da, um ein letztes Mal alle Sicherheitsaspekte zu überprüfen. Angereist sind auch der Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl sowie die Sängerinnen und Sänger.
175 Tonnen Metall und Holz sowie 119 Pfähle
Wolfgang Urstadt sitzt zufrieden in seinem Büro im Festspielhaus und blickt auf den Fernseher. Dort sieht er ganz klein, was sich ein paar Schritte entfernt imposant aus dem Wasser des Bodensees erhebt. Zwei Hände schrauben sich in die Höhe, die eine hält einen mit Helium gefüllten Ballon, der zwar nicht fliegen, aber sich nach oben bewegen wird. Die andere ist beinahe zur Faust geballt. Dazwischen der grosse Kopf eines Clowns, das eine Auge geschlossen, das andere offen, die Pupille leicht zurückversetzt. Augenhöhlen, Mund und die mit Geländern gegen das Wasser hin gesicherten Hals- und Handkrausen werden Spielflächen sein im Drama des Hofnarren Rigoletto.
Die Dimensionen sind so enorm wie die Kosten von rund acht Millionen Euro. Als Besucher merkt man das erst, wenn man im steil ansteigenden Zuschauerraum am See steht.
Der Kopf allein misst vom Unterkiefer bis zur Schädeldecke rund 13,5 Meter. Die linke Hand ragt, wenn sie sich streckt, 11,5 Meter in die Höhe. Manches sieht man nicht. Zum Beispiel die nach hinten ragende grosse Wippe, die man beim Richtfest Anfang April hat besichtigen können. Mit Gewichten versehen, hält sie den 40 Tonnen schweren Kopf erst in der Balance. Zusammen mit der Unterkonstruktion ergibt das ein Gewicht von 175 Tonnen Metall, Holz, Styropor und Fassadenputz. Unsichtbar sind auch die 119 Pfähle, die Taucher in den Boden des Sees getrieben haben, um dem Ganzen Stabilität zu verleihen. Verborgen liegen auch die Schienen, auf denen Teile der Halskrause bewegt werden können.
Geschmack am Theater gefunden
Der in der Nähe von Darm-stadt aufgewachsene Wolfgang Urstadt ist 2015 zu den Bregenzer Festspielen gestossen. Im Zivildienst hat der gelernte Zimmermann Kontakte geknüpft zu Theaterleuten und Geschmack gefunden an der Kunst und an der Musik. Über mehrere Zwischenstationen ist er nach Graz gekommen, wo Elisabeth Sobotka, die heutige Intendantin der Bregenzer Festspiele, als Operndirektorin wirkte. «Die Zusammenarbeit mit ihr war sehr stimmig», erzählt er. «Und weil ich beruflich noch einmal etwas Neues in Angriff nehmen wollte, habe ich mich für Bregenz beworben.»
Vom Bühnenbild her kommt auch der Regisseur Philipp Stölzl. Fürs Theater Feuer gefangen hat er früh, als er jeweils mit seinem Deutschlehrer die Münchner Kammerspiele besucht hat, wo er schliesslich eine Ausbildung zum Bühnenbildner gemacht hat.
Zwischen Kinofilm und Opernregie
In einer Art Metamorphose hat Philipp Stölzl zur Regie gewechselt, ist vom Sprechtheater zum Videoclip und zum Film gekommen – «halb gewollt und halb zufällig, wie das so geht im Leben», erzählt er. «Bis dann ein Freund kam und fragte, ob ich nicht mal eine Oper inszenieren will. Seit etwa zwölf Jahren teile ich mein Leben nun zwischen Kinofilmen und Opernregie.» Bei den Bregenzer Festspielen ist er nebst der Regie auch für das Bühnenbild zuständig, zusammen mit Heike Vollmer.
Den Entstehungsprozess seiner Rigoletto-Bühne hat Stölzl im steten Dialog mit der Technik als anregend empfunden. Er spricht von einem «Tanz der Ideen», der einer grossen Frage folgte: «Wie erzählt man diese berührende Geschichte, der ja oft etwas Kammerspielartiges eigen ist, für die monumentale Dimension, die Bregenz hat? Unsere Lösung besteht darin, dass wir die Hauptfigur noch einmal überdimensioniert gross auftreten lassen.»
So ist nach den Spielkarten für «Carmen», der chinesischen Mauer für «Turandot», dem Gräserfeld der «Zauberflöte» und dem Riesenauge von «Tosca» ein weiteres temporäres Wahrzeichen für Bregenz entstanden, das oft besichtigt wird. Philipp Stölzl freut das besonders: «Das Theater muss die Türen aufmachen und die Welt hereinlassen.» Die Welt: Das sind im Fall des «Rigoletto» doch immerhin 192 000 Besucher in 27 Vorstellungen.
Wie viel Arbeit in diesem Clown steckt, hat man im Januar ein erstes Mal in Hard bei Bregenz sehen können, wo beim Metallbau Thaler Teile des Kopfes und die Hände gefertigt und teils mit Transportern, teils per Schiff bei Nacht und Nebel an den See geschafft worden sind. Schon damals hat Wolfgang Urstadt darauf aufmerksam gemacht, wie viel Kinetik da verbaut wird. «Die linke Hand muss beweglich sein, auch der Mund, die Augenlider und der Kopf als Ganzes.» Überall laufen Kabelstränge durch, überall sind Antriebe montiert, deren Steuerung eine hochkomplexe Angelegenheit ist.
Ein Plan B muss zur Hand sein
Auch Stürmen von 125 Stundenkilometern muss die Bühne trotzen, und sie muss sommerliche Hitze und winterliche Kälte aushalten. Urstadt hat deshalb viel in die Risikoabsicherung investiert, hat schon bald die Profis aus dem Betrieb und einige jener 46 Technikfirmen beigezogen, die am Bau beteiligt sind. Heute sagt er: «Was lösbar ist, haben wir gelöst.» Im Übrigen aber sei seine Arbeit noch keineswegs beendet. «Wir werden schwitzen bis zur letzten Vorstellung», sagt Urstadt. «Für alles, was schiefgehen kann, benötigen wir sehr rasch einen Plan B.»
Aufführungen
Rigoletto
Premiere: Mi, 17.7., 21.15
Seebühne Bregenz (AT)
Bregenzer Festspiele
Mi, 17.7.–So, 18.8.
www.bregenzerfestspiele.com