Was hat der etwas angestaubte Bertolt Brecht mit seinem Lehr-Anspruch dem Publikum heute zu sagen? Sein episches Theater und seine Verfahren wie der Verfremdungseffekt haben die Theaterlandschaft nachhaltig geprägt – aber wie steht es um den Inhalt?
«Wenn man den Zustand der Welt ansieht, hat Brecht wieder an Aktualität gewonnen», ist Regisseur Johannes Lepper überzeugt, der bereits mehrere Brecht-Stücke inszeniert hat. Auf den deutschsprachigen Bühnen stellt er gar ein Revival fest. Von den politischen Ansichten des deutschen Dramatikers lässt sich Lepper nicht beirren: «Der Sozialismus ist gescheitert, aber Brechts Fragestellung nach unserem Weltverständnis ist nach wie vor wichtig. Wir Menschen werden immer mehr. Die Suche nach Antworten, wie allen ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten ist, ist dringend.»
Herzloses Alter Ego
Für das Konzert Theater Bern inszeniert Lepper nun das Theaterstück «Der gute Mensch von Sezuan». Mit einem kleinen Ensemble, bei dem jeder Schauspieler in mehrere Rollen schlüpft, setzt er sich damit auseinander, wie der Mensch mit dem Menschen umgeht.
Das Stück zeigt, wie sich der Einzelne bereichert oder wie der Mensch zur Ware degradiert wird. Brecht hat sein Parabelstück während des Zweiten Weltkriegs geschrieben. «Auch heute muss man nur die Zeitung aufschlagen, um sich zu fragen, warum die Menschen einander solches Leid antun», sagt Lepper. Sind die sozialen Verhältnisse die Ursache, die Profitgier, die Wut?
Der Mensch steht vor dem moralischen Dilemma, «gut zu sein und doch zu leben», wie es im Stück heisst. In der von Korruption und Ungerechtigkeit geprägten, kapitalistischen Welt, die Brecht in seinen Werken zeichnet, lassen sich eigene Bedürfnisse und Nächstenliebe nicht vereinbaren. Die Hauptfigur Shen Te muss den grosszügigen, hilfsbereiten Teil ihrer Persönlichkeit abspalten und ein egoistisches Alter Ego erschaffen, um zu überleben.
Kein Seelenheil
Auch die Götter bieten keine Antwort. In Brechts Stück sind sie keineswegs unfehlbar, der Dramatiker betrachtet sie mit ironischem Blick. «Sie kommen wie Vertreter daher – als Beauftragte, die sich auf der Erde nicht zurechtfinden und im Verlauf des Stücks immer mehr aus der Fasson geraten», sagt Lepper. Im Glauben an eine höhere Macht ist das Seelenheil also nicht zu finden, das war für Brecht, den überzeugten Atheisten, klar.
Der Regisseur siedelt die Geschichte mit Musik von Paul Dessau zwar im heutigen China an und lässt seine Schauspieler mit Atemschutzmasken gegen den Smog über die Bühne radeln. Aber wie Brecht in der Vorbemerkung betonte, steht der Handlungsort Sezuan stellvertretend für alle Orte, «an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden».
Bühne als Grossstadt
Das Publikum soll sich das grossstädtische Ambiente auf der Bühne vorstellen. Ein Pavillon in der Mitte kann vom
Tabakladen in ein Gericht umfunktioniert werden. Gleichzeitig sind auf der Bühne Schminktische zu sehen, an denen sich die Schauspieler in ihre jeweiligen Rollen verwandeln. So bricht der deutsche Regisseur und Bühnenbildner Lepper nach brechtscher Manier mit der Illusion: «Das Publikum kann den Schauspielern auf der Bühne beim Arbeiten zusehen.»
Der Verfremdungseffekt zeigt sich auch dann, wenn sich ein Schauspieler direkt an das Publikum wendet. Die Zuschauer werden zum Mitdenken aufgefordert und müssen auch am Schluss selbst entscheiden: «Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach: / Sie selber dächten auf der Stelle nach / Auf welche Weis dem guten Menschen man / Zu einem guten Ende helfen kann.»
Doppeltes Spiel
Die Parabel «Der gute Mensch von Sezuan» von Bertolt Brecht (1898–1956) spielt in der chinesischen Provinz Sezuan. Im Mittelpunkt steht die Prostituierte Shen Te. Als drei Götter auf die Erde kommen, um nach dem Beweis für gute Menschen zu suchen, ist sie die Einzige, welche ihnen eine Unterkunft anbietet. Als Dank erhält sie viel Geld, mit dem sie sich einen Tabakladen kaufen kann. Doch die Menschen nutzen ihr gutes Herz aus, bald häufen sich die Schulden. Um diese zu tilgen, erfindet sie ihren hartherzigen Vetter Shui Ta. In seiner Rolle kann sie ohne jegliches Mitgefühl alle Schmarotzer, aber auch alle Hilfesuchenden vertreiben. Die gute Shen Te verschwindet, zurück bleibt Shui Ta, der mit ausbeuterischen Methoden ein florierendes Tabakgeschäft aufbauen kann. Schliesslich wird er des Mordes an Shen Te angeklagt und kommt vor das Gericht der drei Götter: Ihnen gesteht er, dass Shen Te und Shui Ta ein und dieselbe Person sind. Aber selbst die Götter wissen nicht, wie ein guter Mensch in einer schlechten Welt überleben kann. «Der gute Mensch von Sezuan» ist zum Bühnenklassiker geworden. Die Uraufführung fand 1943 im Schauspielhaus Zürich statt. 1966 wurde es unter der Regie von Fritz Umgelter verfilmt.
Der gute Mensch von Sezuan
Premiere: Fr, 5.2., 19.30 Konzert Theater Bern
www.konzerttheaterbern.ch