Die Begegnung ist ein paar Jahre her. Philippe Jordan ist in Bregenz, um ein Konzert der Wiener Symphoniker zu dirigieren. Die Probe liegt hinter ihm, doch bevor er Zeit findet für ein Interview, muss er noch zur Verabschiedung einer Mitarbeiterin des Orchesters. Freundlich mischt er sich unter die Musiker, man spürt eine starke Verbundenheit. Dirigieren: Das ist auch Beziehungsarbeit. Oder, in den Worten des Komponisten und Dirigenten Wolfgang Rihm: «Die Kunst des Dirigierens ist führen, formen, geschehen lassen.»
Geprägt von seinem Vater und Daniel Barenboim
Philippe Jordan zitiert dies gegen Ende des Buchs, in dem er gegenüber der Musikwissenschafterin und Journalistin Haide Tenner über seinen Werdegang, seine Arbeit und seine Überzeugungen Auskunft gibt. «Der Klang der Stille» erscheint an einem Wendepunkt seines Lebens: Im Herbst wird der 45-Jährige als neuer Musikdirektor der Staatsoper eine zentrale Position im musikalischen Leben Wiens übernehmen. Die Chefposition bei den Wiener Symphonikern wird dann ebenso Vergangenheit sein wie jene als musikalischer Direktor der beiden Pariser Opernhäuser. Als eine Art Abschiedsgeschenk ist gerade eine Einspielung der Brahms-Sinfonien erschienen, in einer zarten, an Zwischentönen reichen Interpretation. Man muss, erklärt er im Buch, Brahms’ Sinfonien aus seiner Kammermusik verstehen: «Er war ein Meister der feinen und sensiblen Töne».
In solchen Beschreibungen erkennt man Philippe Jordan selbst. «Ich denke, die Kunst besteht darin, den Notentext so genau, aber auch so emotional wie möglich zu realisieren», erklärt er. Und er erzählt viel von den beiden Menschen, die ihn dies gelehrt haben: seinem Vater, dem Dirigenten Armin Jordan, und Daniel Barenboim, dessen Assistent er an der Berliner Staatsoper Unter den Linden gewesen ist. Er habe den Beruf seines Vaters als «sehr spielerisch, schön und natürlich» empfunden. «Er hatte eine sehr gute Art, mit dem Orchester zu arbeiten, und gestaltete die Proben mit Humor und Intelligenz.»
Davon hat sich der Sohn viel abgeschaut – und dazugelernt. Er weiss mit empfindlichen Menschen umzugehen, und er ist tief in die Welt jener Komponisten eingedrungen, die ihm wichtig sind: Mozart, Puccini, Strauss, Berlioz, Bach, Beethoven, Schubert, Bruckner. Und natürlich Wagner, den er auch in Bayreuth von allem nationalistischen Bombast befreit hat. «Der Mensch Wagner ist zu verurteilen, seine Musik nicht», zitiert er Daniel Barenboim, und stellt fest: Gerade in seinen antisemitisch angelegten Figuren gelingen Wagner – vielleicht wider Willen – vielschichtige und anrührende Menschenporträts.
Uns anrühren: Das ist das Ziel wahrer Musik. «Sie macht uns bewusst, dass es etwas Grösseres, etwas Göttliches gibt, etwas Universelles, etwas, das in uns ist.» In ihre Geheimnisse weiht Jordan auf vielerlei Wegen ein. Und er erzählt auch von Konflikten, im Fall der Oper etwa zwischen dem Dirigenten und dem Regisseur. Er sieht die Gefahr, dass Opernproduktionen zu Bilderfluten verkommen, welche die eigentliche Geschichte erdrücken. Wenn Alvis Hermanis in Paris Berlioz’ Faust auf Marsmission schickt und Schnecken auf einer Wiese Liebe machen lässt, fragt nicht nur sein Darsteller Jonas Kaufmann: «Was mach ich hier?»
Buch
Philippe Jordan
Der Klang der Stille
Aufgezeichnet von Haide Tenner
251 Seiten
(Residenz Salzburg 2020)