Der Mann hatte hohe Ansprüche: «Er wollte die Kunst und ihre vertrackten Marktmechanismen, die von so viel Lobhudelei und Kriecherei abhingen, einfach umwerfen.» So beschreibt der österreichische Schriftsteller Bernd Schuchter in einem neuen Essay den Charakter des französischen Künstlers Gustave Courbet (1819 bis 1877). Der Freigeist litt unter der politischen Restauration, die mit Napoleon III. in Frankreich Einzug gehalten hatte und schliesslich im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 gipfelte. Der fortschrittliche Courbet musste als politisch Verfemter seine letzten Jahre im Exil in der Gemeinde La Tour-de-Peilz am Genfersee verbringen.
Das harte Leben nachvollziehbar machen
Schuchter beschreibt Courbet in diesem ebenso amüsanten wie erhellenden Essay als einen Exzentriker, der sich selbst und vor allem seine Kunst über alles stellte. Nach einem Besuch in jungen Jahren mit seinem Vater im Louvre hielt er beispielsweise von den Werken der Klassiker im Vergleich zu seinen eigenen gar nichts. Dahinter steckte nicht Snobismus, sondern Fanatismus: Courbet interessierte sich allein für seinen Realismus, in dem er das Leben der Zukurzgekommenen nachvollziehbar machen wollte, wie etwa mit dem Gemälde «Die Steinklopfer».
Courbet war ein widersprüchlicher Mensch: Für zwischenmenschliche Bindungen im herkömmlichen Sinn fehlte ihm zwar das Mitgefühl. Dennoch hatte er eine fürsorgliche Seite. So sorgte er sich nach dem frühen Tod des Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon um dessen Familie, der er sich verbunden fühlte: «Dies belegt, dass Courbet nicht nur ein Ideologe war; er konnte auch Verantwortung übernehmen», sagt Autor Bernd Schuchter im persönlichen Gespräch. Er ordnet Courbet «als typisches Kind seiner Zeit ein; er litt unter der Repression und musste sich wehren».
Daran nahm Courbets Selbstbewusstsein indes keinen Schaden. Immer wieder stellte er sich in Gemälden selbst in den Mittelpunkt, etwa mit «Der Verzweifelte» oder «Das Atelier des Künstlers», das er für sein wichtigstes Werk gehalten hatte. Courbet hatte auch den Mut, neben dem berühmten Pariser Salon der damaligen Kunstelite ein eigenes Ausstellungslokal einzurichten, den Pavillon du Réalisme. Das Publikum sollte während der Weltausstellung 1855 sehen, was wirkliche Kunst ist. Die Kritik schrieb indes von «Sudelbrei», was Courbet in seiner rebellischen Haltung bestärkte.
Künstlerisch wie politisch radikal
Die gesellschaftliche Anerkennung für Courbet war durchzogen wegen seiner politischen und seiner künstlerischen Radikalität. Schliesslich kam er nach dem Zusammenbruch der Kommune 1871 unter die Räder der Obrigkeit: Ein Gericht verurteilte ihn für die Demontage einer Napoleon-Statue auf der Place de Vendôme, was den Künstler finanziell in den Ruin trieb.
Seine letzten Jahre am Genfersee, verarmt und krank, müssen bitter für ihn gewesen sein, auch wenn Courbet bis zuletzt keinerlei Zweifel an der Mission seiner Kunst hegte. Bernd Schuchter bringt dem Leser mit diesem Essay die facettenreiche Persönlichkeit eines ziemlich schwierigen Menschen nahe, den man zum Schluss sogar ein bisschen mag.
Buch
Bernd Schuchter
Gustave Courbet und der Blick des Verzweifelten
127 Seiten
(Braumüller 2021)